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Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst
Autoren: James Preller
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blutigen Stümpfe und das ganze Rumgeschleife würden ihm sonst glatt das ganze Wochenende versauen. Lieber nicht überfahren werden, überlegte er und spähte wachsam in beide Richtungen. Heute war der erste Tag vom Rest seines Lebens, und Jude hatte vor, ihn im Jones Beach Park zu verbringen – als Anfänger in einem Ferienjob in der Gastronomie. Noch lagen zwei Wochen Schule und die Plackerei der Abschlussprüfungen vor ihm, doch am Wochenende wurden Mitarbeiter gebraucht, und Jude konnte nicht wählerisch sein. Jobs waren nicht leicht zu finden, außerdem hatte er festgestellt, dass seine – nicht vorhandenen – fachlichen Fähigkeiten nicht besonders gefragt waren.
    Noch halb im Schlaf hatte er sich in die vorschriftsmäßige Uniform aus schwarzer Jeans und orangefarbenem T-Shirt geschmissen. Weil man natürlich am glühend heißen Strand schwarze Jeans trägt. Jude Fox war unterwegs, um sich als Mindestlohnsklave zu verkaufen, als Hamburger grillender und Limo ausschenkender Imbissstandarbeiter.
    Nicht weit über dem Horizont schien knallig und grell die Sonne, und Jude zog sich in den kühlen Zementschatten des Bahnhofs zurück. Ein heißer Tag stand ihm bevor, die erste Bullenhitze des Sommers – keine Wolke in Sicht, nur blauer Junihimmel. Eigentlich hatte Jude nichts gegen die Vorstellung zu arbeiten. Er hatte gehört, dass Strandjobs ganz okay sein und sogar Spaß machen konnten. Aber Jude war Realist; er wusste, was ihn da erwartete, war im Grunde scheiße. Oder zum Kotzen. Komisch, dass diese beiden Ausdrücke Scheiße und zum Kotzen das Gleiche und zugleich etwas ganz Verschiedenes bedeuteten. Es war scheiße, es war zum Kotzen: das Gleiche. Schräg. Sein ganzes Leben hatte er gehört, wie sich die Leute über ihren Job beschwerten. Wieso sollte es ausgerechnet bei ihm anders sein? Deswegen spukte ihm auch ständig die Frage durch den Kopf, ob es nicht vielleicht ein Riesenfehler gewesen war, sich einen Job zu suchen. Manchmal kam es Jude vor, als wäre der Verlauf seines Lebens schon vor langer Zeit festgelegt worden wie bei den Zügen da oben auf ihren festen Stahlgleisen. Kein Steuer, keine Bremse. Jude folgte nur einem vorgegebenen Weg, genau wie alle anderen.
    Das sind die typischen Gedanken, die man hat, wenn man am Samstagmorgen zu früh aufsteht.
    Diesen Bus hatte Jude schon oft genommen, normalerweise mit einer Horde Jungs in Shorts oder ausgeleierten Badehosen, die röhrenförmig zusammengerollte Strandhandtücher unter dem Arm oder Rucksäcke über der Schulter trugen. Sie fuhren hin, um am Strand abzuhängen, die Mädels zu bewundern, zu schwimmen, wenn die Quallen nicht zu schlimm waren, auf dem Bohlenweg herumzulatschen und später sonnenverbrannt und glücklich mit dem Bus heimzukehren.
    Allmählich versammelten sich an der Haltestelle noch ein paar Nachzügler mit glasigen Augen, in erster Linie junge Imbissstandarbeiter in ihrer Halloweenkluft aus Orange und Schwarz. Für die lederhäutige Strandmeute war es noch zu früh. Jude kannte zwar ein paar von den Wartenden, hatte aber keine Lust auf Reden, also machte er einen auf hohes Kinn. Sie saßen alle im selben Boot wie Jude – oder zumindest gleich im selben Bus: die Typen mit Lernführerschein, die alt genug waren, um einen Job anzufangen, aber nicht alt genug, um selber hinzufahren.
    Jude hatte sich überlegt, ob er zum Strand laufen sollte, von Tür zu Tür ungefähr elf Kilometer, aber dann hätte er den Wecker noch früher stellen müssen, außerdem hätte er nach dem Eintreffen eine Dusche gebraucht. Mit so einer Strecke kam sein Körper locker klar, doch es konnte ein langer Tag werden, wenn der Job anstrengend war. Vielleicht beim nächsten Mal, sobald er wusste, wie es in der Arbeit lief. Sein Dad war schon auf und für den ganzen Tag verschwunden. Jude hatte halb gehofft, dass seine Mutter sich vielleicht ausnahmsweise einen Ruck geben und ihn hinbringen könnte, aber es war wohl besser, nicht mit Wundern zu rechnen. Jude hatte es sich zum Grundsatz gemacht, seine Erwartungen niedrig zu halten, um Enttäuschungen zu vermeiden. Zumindest war das seine Strategie.
    Ein gut aussehendes Mädchen, das Jude flüchtig kannte, tauchte auf: die wunderschöne Dani Remson, mit Beinen hoch bis zum Hals. Vor ungefähr einem halben Jahr hatte sie kurz was mit seinem Freund Corey gehabt. Irgendwas an Dani machte Jude immer unsicher, vielleicht weil sie eine räuberische Göttin mit braunen Augen war, die sich wie ein Laser in ihn
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