Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bevor du gehst

Bevor du gehst

Titel: Bevor du gehst
Autoren: James Preller
Vom Netzwerk:
mich?«
    Ohne eine Antwort kehrte Jessup in sein Büro hinter dem Tresen zurück.
    Roberto rief nach draußen zu Jude. »Hey, Jude! Judy, Judy! Kein Stress, Bruder, wenn es Scherereien gibt, kriegst du von uns Rückendeckung!« Als er Roberto mit Ivan und zwei anderen Typen lachen hörte, war sich Jude ziemlich sicher, dass das genaue Gegenteil zutraf.
    Eigentlich war es keine große Sache. Jude war kein geborener Wachmann und würde sich bestimmt kein Bein ausreißen, um Diebe zu fangen. Doch Jessup hatte recht: Allein durch das Herumstehen mit ernster Miene konnte Jude die meisten Möchtegernmopser davon abhalten, sich Würstchen und Frikadellen unter den Nagel zu reißen. Zu den Kassenhäuschen hinter ihm strebte ein gleichmäßiger Strom von Kunden. Jude bemerkte, dass die Kassiererin in der mittleren Bude ihn amüsiert beobachtete. Sie hatte leicht auseinanderstehende Augen, ihr Haar war ein Gewirr aus schwarzen Kringeln und Schnörkeln. Die Haut olivfarben und glatt. Jude grinste ein wenig doof, und sie reagierte mit einem mitfühlenden Achselzucken.
    Die Kassen in West End Two waren alle mit Frauen besetzt – anscheinend Firmenpolitik. In dem Häuschen ganz links war ein breites, plumpes Mädchen postiert, deren Namen Jude noch nicht kannte. Im Gegensatz zu den anderen hatte sich Billy bei ihr nicht die Mühe gemacht, Jude etwas über sie zu erzählen. Finster, gelangweilt und offensichtlich deprimiert saß sie mit dem Charisma einer Gartenschnecke da. Als Nächstes kam Daphne, eine blasse, kleine Blondine mit Schmollmund und dunklen Augenringen. Sie war entweder krank, unterernährt oder ein zukünftiges Laufstegmodel. Roberto hatte schon gefrotzelt, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er Daphne flachlegen oder in die Notaufnahme bringen sollte. Ein Witz, den Jude ziemlich lustig fand. Abgesehen von ein paar Blicken in Judes Richtung arbeitete die Kassiererin in der mittleren Bude ohne Unterbrechung. Billy hatte Jude ihren Namen genannt. Wie heißt sie gleich wieder? Dann fiel es ihm ein: Becka Irgendwas. Sie sah super aus, ohne es darauf anzulegen, lächelte die Kunden an, machte kompetent ihren Job. Das vierte Häuschen war geschlossen, und in der Bude ganz rechts saß ein Mädchen namens Kath. Sie hatte etwas Verunsicherndes an sich: dunkle Wuschelmähne, großer Busen, enge Hose. Selbst aus der Ferne schrie alles an ihr: Ich liebe Sex. Nein, das stimmte nicht ganz. Ihr Gesichtsausdruck fügte noch was hinzu: Aber nicht mit dir. Natürlich steigerte das nur die Faszination, die sie auf die Typen hinter dem Tresen ausübte. Doch Jude jagte sie offen gestanden eine Scheißangst ein. Kath sah aus wie die Schwarze Witwe unter den Mindestlohnkassiererinnen.
    Das Unheil erschien in der Furcht einflößenden Gestalt von drei tätowierten Bodybuildern: lächerlich hochgezüchtete Typen mit Militärfrisur. Wahrscheinlich vom College, davor an der Highschool sicher Footballspieler. Jude beobachtete, wie sie ihre Kartontabletts mit Hamburgern, Pizza, Limo und Brezeln vollluden. Direkt vor Jude und den Augen aller fingen sie an, das Essen hinunterzuschlingen, ehe sie die Kassen erreichten. Ihre Arroganz ging Jude auf den Keks; sie gaben sich nicht die geringste Mühe, es zu verheimlichen. Schließlich trat er auf sie zu und schlug ihnen im freundlichen Ton eines Mitverschwörers vor, es nicht ganz so auffällig zu machen. Ihr wisst schon, zwinker-zwinker, muss ja nicht jeder mitkriegen. Er erklärte ihnen, dass es sein Job war, den Sicherheitsdienst zu machen, das verstanden sie doch sicher.
    Der Größte von ihnen, mit Brustmuskeln im Radkappenformat, drehte Jude den Kopf zu: »Häh? Was?«
    Jude blickte von dem Neandertaler zu seinen Steroidkumpeln. »Ich wollte nur sagen, könntet ihr vielleicht ein bisschen diskreter sein. Heute ist mein erster Arbeitstag und …«
    Der schnaufende Koloss mit schweren Lidern und toten Augen mampfte ungerührt seinen Burger zu Ende. Er hatte Riesenpranken und gurgelte eine große Limo hinunter. »Hab noch immer Hunger.« Er boxte einem seiner Kumpane gegen die Brust. »Außerdem ist der Fraß hier sowieso scheiße, findet ihr nicht?«
    »Stimmt, total ungenießbar, das Zeug.« Mit einem Glucksen versuchte Jude, sich in die Unterhaltung (wenn man es so bezeichnen wollte) einzuschalten. »An diesen Burgern sind schon Leute gestorben.« Jude hatte wirklich überhaupt keine Lust darauf, verprügelt zu werden. Doch zugleich hielt ihn ein Rest von Würde davon ab,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher