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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt
Autoren: Joy Fielding
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beiden einzigen Stühle im Raum bedeckten, ein großer, bis zum Boden reichender Spiegel in einer Ecke, drei entsprechend ausgerichtete Spiegel in den anderen Ecken, dazu ein Hinterzimmer, in dem sich mehrere Tische, Nähmaschinen und Bügelbretter drängten. Cindy schlenderte zu einem Ständer mit eher legeren Kostümen und Kleidern, der an eine Wand geschoben worden war, und fragte sich, ob sie vielleicht etwas fand, das hinreichend elegant und sexy für ihr Abendessen mit Neil Macfarlane war.
    »Cindy ist hier«, rief Leigh ihrer Mutter zu.
    »Hallo, Schätzchen«, flötete die körperlose Stimme ihrer Mutter.
    »Hi, Mom. Wie ist das Kleid?«
    »Sag du es mir.« Cindy beobachtete, wie ihre normalerweise lebhafte 72-jährige Mutter den weißen Vorhang aufstieß, der ihr als Umkleidekabine gedient hatte, unsicher die Stirn runzelte und an ihrem magentafarbenen Satinkleid zupfte.
    »Sag ihr, dass sie hinreißend aussieht«, flüsterte Leigh hinter vorgehaltener Hand, während sie so tat, als würde sie sich die Nase kratzen.
    »Was hat deine Schwester gesagt?«
    »Sie hat gesagt, du siehst hinreißend aus«, erklärte Cindy ihrer Mutter.

    »Und was denkst du ?«
    »Logisch«, sagte Leigh leise. »Was ich denke, zählt nicht.«
    »Was murmelt deine Schwester jetzt wieder?«
    »Ich bin hier, Mutter. Du brauchst nicht Cindy zu fragen.«
    »Ich finde, du siehst wunderschön aus«, sagte Cindy, die die Einschätzung ihrer Schwester ehrlich teilte, und tätschelte den modischen Pagenkopf ihrer Mutter.
    Norma Appleton verzog abschätzig den Mund. »War doch klar, dass ihr Mädchen zusammenhaltet.«
    »Was für ein Problem hast du denn mit dem Kleid, Mom?«, fragte Cindy, entdeckte auf dem Ständer mit der Freizeitmode ein kurzes rotes Cocktailkleid und fragte sich, ob es ihre Größe war.
    »Der Ausschnitt gefällt mir nicht.« Ihre Mutter nestelte an der inkriminierten Stelle. »Er ist zu schlicht.«
    Vielleicht war der Ausschnitt doch zu tief, dachte Cindy, als sie das gewagte Oberteil des roten Kleids sah. Sie wollte Neil Macfarlane schließlich kein falsches Bild vermitteln. Oder?
    Er ist wirklich süß , flüstere Trish ihr ins Ohr.
    »Ich habe Mutter schon hundert Mal erklärt …«
    »Ich bin hier«, sagte Norma Appleton. »Du kannst mit mir reden.«
    »Ich hab dir schon eine Million Mal erklärt, dass Marcel den Ausschnitt noch mit Perlen einfassen will.«
    Cindy verwarf die Idee mit dem roten Kleid, und ihr Blick wanderte weiter zu einem langen, formlosen, beigen Leinensack. Auf gar keinen Fall, entschied sie, als sie sich vorstellte, sich in den ausladenden Stofffalten zu verlieren. Sie wollte auch nicht, dass Neil Macfarlane dachte, er würde mit einer Nonne ausgehen. Oder?
    Du hattest seit drei Jahren keinen Sex .
    »Ich hasse Perlenstickerei«, sagte ihre Mutter.
    »Seit wann hasst du Perlenstickerei?«
    »Schon immer.«

    »Wie wär’s mit einer Jacke?«, schlug Cindy vor, während sie versuchte, die Stimmen in ihrem Kopf zum Schweigen zu bringen. »Vielleicht könnte Marcel etwas aus Spitze machen …« Sie warf Marcel einen flehenden Blick zu, worauf jener seinen Assistenten sofort stehen ließ und in die Mitte des Raumes eilte.
    »Ein Spitzenjäckchen ist eine reizende Idee«, stimmte ihre Mutter zu.
    »Ich dachte, du magst keine Spitze«, sagte Leigh.
    »Ich habe Spitze schon immer gemocht.«
    Bei ihrem letzten Rendezvous hatte sie ein Spitzennegligé angehabt, erinnerte Cindy sich. Der Name des Mannes war Alan, und sie hatten sich kennen gelernt, als er in Megs Laden für seine Schwester zum Geburtstag ein Paar Türkis-Ohrringe gekauft hatte. Cindy erfuhr, dass er gar keine Schwester hatte, als seine Frau die Ohrringe in der nächsten Woche gegen etwas Schlichteres eintauschte. Doch da war es natürlich schon zu spät. Das Negligé war gekauft, die Tat begangen.
    »Was meinen Sie, Marcel?«, fragte Cindy unnatürlich laut. Der arme Mann trat einen Schritt zurück und sah sich nervös zu Cindys Mutter um, wobei er versuchte, nicht auf die tiefen Falten zu starren, die ihre Finger in seinem Werk aus zartem Satin hinterließen.
    Ohne zu zögern, nahm er das Bandmaß, das wie ein Schal um seinen Hals hing. »Was immer Sie wünschen.«
    Was immer Sie wünschen, wiederholte Cindy stumm und genoss den Klang der Worte. Wie lange war es her, dass ihr irgendwer angeboten hatte, was immer sie wünschte? Würde Neil Macfarlane es tun?
    Er ist zum Niederknien, das schwöre ich dir. Du wirst ihn lieben .
    »Hab ich
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