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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt
Autoren: Joy Fielding
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Kopf, wurde ungeduldig und rannte bei der ersten Lücke im Verkehr über die dicht befahrene Ausfallstraße. »Und es darf erst recht nicht wahr sein, dass ich zugesagt habe. Was ist los mit mir?«
    Sobald sie einen Fuß auf den Bürgersteig gesetzt hatte, hörte sie Elvis bellen, obwohl ihr Haus am anderen Ende der Straße lag. Es war also niemand zu Hause, und der Hund hatte wahrscheinlich auf den Teppich im Flur gepinkelt, sein neuester Lieblingsprotest, wenn man ihn länger als eine halbe Stunde alleine ließ. Sie hatte versucht, ihn in der Küche einzuschließen, doch er fand immer einen Weg hinaus. Er hatte es sogar geschafft,
den großen Drahtkäfig zu öffnen, den Cindy gekauft hatte und der jetzt leer in der Garage stand. Cindy kicherte. Er war in der Tat ganz Julias Hund.
    Eine sanfte Brise wehte raschelnd durch die dichten, sattgrünen Blätter der Ahornbäume, die die malerische breite Straße im Stadtzentrum säumten. Cindy und Tom hatten das alte, braune Backsteinhaus an der Ecke Balmoral und Poplar Plains erst wenige Monate vor Toms Auszug gekauft, und sie hatte es als Teil ihrer Scheidungsvereinbarung behalten. Im Gegenzug hatte Tom das Apartment mit Meerblick in Florida und das Ferienhaus am Ufer des Sees in Muskoka behalten, was Cindy nur recht war, weil sie immer eine Stadtpflanze geblieben war.
    Das war einer der Gründe, warum sie Toronto liebte, und zwar von dem Moment an, als ihr Vater die Familie kurz nach ihrem dreizehnten Geburtstag vom Stadtrand Detroits hierher verpflanzt hatte. Anfangs hatte ihr die Vorstellung, in eine Stadt und ein neues Land zu ziehen, Angst gemacht – Dort schneit es immer; die Leute reden nur Französisch, und wenn du einen Bären siehst, musst du absolut still stehen -, doch binnen weniger Tage waren sämtliche Befürchtungen durch die angenehme Realität Torontos zerstreut worden. Was Cindy neben der interessanten Architektur, den unterschiedlichen Vierteln und der Fülle von Kunstgalerien, Trend-Boutiquen und Theatern an der Stadt am meisten gefiel, war die Tatsache, dass Menschen sie tatsächlich bewohnten und nicht nur tagsüber hier arbeiteten, um abends in irgendwelchen Eigenheimsiedlungen am Stadtrand zu verschwinden. Das Zentrum von Downtown Toronto war zum größten Teil eine Wohngegend. Stattliche Stadtvillen mit Swimmingpool im Garten lagen in derselben Straße wie moderne Bürohochhäuser, und man war immer nur wenige Minuten von einer U-Bahn-Station entfernt – die U-Bahn war sauber, die Straßen waren sicher, die Menschen höflich, wenngleich ein wenig reservierter als ihre südlichen Nachbarn. Eine Drei-Millionen-Stadt
– fünf Millionen, wenn man das Einzugsgebiet mitrechnete -, und es gab selten mehr als fünfzig Morde im Jahr. Erstaunlich, dachte Cindy, streckte die Arme aus, drückte die Stadt an die Brust und vergab ihr sogar die hohe sommerliche Luftfeuchtigkeit, die ihr ohnehin lockiges Haar weiter kräuselte.
    Nach dem Tod ihres Mannes hatte Cindys Mutter kurz erwogen, wieder nach Detroit zu ziehen, wo ihr Bruder und ihre Schwester nach wie vor lebten, doch ihre Töchter, mittlerweile beide verheiratete Mütter, hatten es ihr ausgeredet. In Wahrheit hatte man Norma Appleton nicht lange überreden müssen. Binnen weniger Monate hatte sie das alte Haus der Familie an der Wembley Avenue verkauft und eine brandneue Eigentumswohnung an der Prince Arthur Avenue bezogen, nur einen Block vom Shopping-Mekka der Bloor Street und mit dem Auto keine fünf Minuten von ihren beiden Kindern entfernt.
    (»Wir hätten sie zurück nach Detroit ziehen lassen sollen«, hatte Leigh sich mehr als einmal beklagt. »Sie macht mich wahnsinnig.«
    »Du nimmst sie zu ernst. Lass dich doch nicht von ihr ärgern.«
    »Das sagt sich so leicht für dich. Du kannst ja sowieso nichts falsch machen.«
    »Ich mache alles Mögliche falsch.«
    »Das musst du mir nicht sagen.«)
    Cindy stieß unwillkürlich ein Lachen aus, das in der leeren Straße verhallte. Sie war jedes Mal aufs Neue überrascht, dass ihre Mutter und ihre Schwester so oft miteinander über Kreuz lagen, während sie sich in Wahrheit sehr ähnlich waren – von beiden hatte man schon nach kurzer Begegnung für längere Zeit genug.
    Cindy sah auf die Uhr. Es war schon fast drei. Sie hatte gerade noch genug Zeit, mit dem Hund zu gehen und ihre Shorts gegen eine lange Hose auszutauschen, bevor sie zur Anprobe bei Marcel’s aufbrechen sollte. Danach musste sie zurück nach
Hause eilen, duschen und sich für ihre
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