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Bevor der Abend kommt

Titel: Bevor der Abend kommt
Autoren: Joy Fielding
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»Von denen hab ich auch die Nase voll.«
    »Tja, damit hätte sich dann wohl die Hälfte der Filme erledigt.« Cindy trank einen Schluck Wein, hielt ihn im Mund und spürte die warme Spätaugustsonne auf ihren Wangen. Seit sechs Jahren versammelten sich die drei Frauen in Megs Garten, um zu essen, zu trinken und eine Auswahl aus den hunderten von Filmen zu treffen, die beim alljährlichen Internationalen Filmfestival von Toronto gezeigt wurden. Ein weiteres Jahr war gekommen und gegangen. Ein weiteres Festival stand vor der Tür. In der Zwischenzeit hatte sich nicht viel verändert bis auf die Tatsache, dass Julia nach Hause gekommen war.
    Und das bedeutete, dass sich alles verändert hatte.
    »Er würde dir wirklich gefallen«, schaltete Trish unvermittelt wieder um. Sie hatte offensichtlich die ganze Zeit nur auf den richtigen Moment und die nächste Gelegenheit gewartet, das Thema wieder aufs Tapet zu bringen. »Er ist intelligent, lustig und sieht gut aus.«
    Cindy betrachtete Wolkenfetzen, die sich aus einer vorbeiziehenden Formation lösten und sich wie Spinnennetze über das Blau des Himmels spannten. »Kein Interesse«, erklärte sie erneut.
    »Er heißt Neil Macfarlane und ist Bills neuer Steuerberater. Wir haben gestern mit ihm zu Abend gegessen, und er ist wirklich zum Niederknien, das schwöre ich dir. Du wirst ihn lieben.«
    »Wie sieht er denn aus?«, fragte Meg.
    »Groß, schlank, wirklich süß.«

    »Wie wär’s mit The Winds of Change ?«, schlug Cindy vor, ohne auf ihre beiden Freundinnen einzugehen. »Seite 257.«
    Trish stöhnte auf, als sie die genannte Seite aufschlug.
    Meg verschluckte sich fast an einem Apfelstück in ihrem Mund. »Das ist nicht dein Ernst. Ein iranischer Film? Hast du Caravan to Heaven vergessen?«
    »War das der mit dem Kamel, das im Sand feststeckt, und sie drei Stunden gebraucht haben, um es zu befreien?« Trish verzog das Gesicht, als sie daran dachte.
    »Genau der.«
    »Damit wäre der Iran auch raus.«
    »Und was ist mit Frankreich?«, fragte Cindy.
    »In französischen Filmen wird immer nur geredet und gegessen«, sagte Meg.
    »Manchmal haben sie auch Sex«, erklärte Trish ihr.
    »Beim Sex reden sie auch«, sagte Meg.
    »Frankreich ist also ebenfalls gestrichen?« Cindy blickte von Meg zu Trish und zurück. »Wie wär’s hiermit? Night Crawlers . Seite 316. Aus Schweden. Haben wir ein Problem mit Schweden?«
    Meg nahm das schwere Programm und las laut vor, als wäre sie im Unterricht aufgerufen worden. »›In körnigen Bildern wirft der Film einen einfühlsamen Blick auf die schmutzige Seite des Vorstadtlebens. Kompromisslos und …‹«
    »Moment mal«, unterbrach Trish sie erneut. »Was hatten wir beschlossen, was ›kompromisslos‹ bedeutet?«
    »Nun«, meinte Cindy, »mal sehen, ob wir den Code noch drauf haben. Poetisch heißt …«
    »Langatmig«, antwortete Meg.
    »Atemberaubende Bilder …«
    »Stinklangweilig«, sagte Trish.
    »Kompromisslos heißt …«
    Trish und Meg tauschten wissende Blicke. »Wackelige Handkamera«, waren sie sich einig.

    »Gut. Okay«, sagte Cindy. »Poetisch, atemberaubende Bilder und kompromisslos wollen wir also auch nicht.«
    »Außerdem haben wir Schwule, Lesben und den Iran ausgeschlossen.«
    »Vergiss Frankreich nicht.«
    »Mit Frankreich sollten wir nicht so voreilig sein«, plädierte Cindy.
    »Was ist mit Deutschland?«
    »Humorlos.«
    »Hongkong?«
    »Zu brutal«, sagte Meg.
    »Kanada?«
    Die Frauen starrten sich leeren Blickes an.
    »Wie wär’s mit dem neuen Film von Michael Kinsolving?«, fragte Cindy. »Seite 186.«
    »Ist der nicht ziemlich out?«
    »Er könnte jedenfalls ganz bestimmt einen Erfolg gebrauchen.« Wieder hob Meg den schweren Katalog hoch und las laut vor. »Frisch, eigenwillig, aktuell und kontrovers.« Sie ließ das Programm sinken und biss erneut in ihren Apfel. »›Kontrovers‹ ist ein bisschen problematisch. Es könnte ein CodeWort für ›vulgär‹ sein.«
    »Julia hatte heute Morgen ein Casting mit Michael Kinsolving«, sagte Cindy.
    »Wirklich? Wie ist es gelaufen?«
    »Ich weiß nicht.« Cindy zog ihr Handy aus ihrer Handtasche im Leopardenlook, drückte Julias Festnetznummer und ließ es zwei-, dreimal klingeln. Sie wollte gerade auflegen, als sie Julias gehauchtes Flüstern im Ohr hatte.
    » Hier ist Julia «, säuselte die Ansage verführerisch. » Tut mir Leid, dass ich Ihren Anruf nicht entgegennehmen kann, aber ich möchte auf keinen Fall verpassen, was Sie mir zu sagen haben,
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