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Bevor Alles Verschwindet

Bevor Alles Verschwindet

Titel: Bevor Alles Verschwindet
Autoren: Annika Scheffel
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Huhn, das zu fliegen versucht und von einer Katze erwischt wird, die eine Köchin mit einem gußeisernen Topf verscheucht. Als aus dem Nichts ein Pfeil durch ihn hindurchschießt, wird es David zu viel. Es tut nicht weh, aber jetzt fühlt er sich angegriffen.
    »Was wollt ihr hier alle noch«, ruft David, »und warum kommt ihr erst jetzt?«
    »David.« Ein alter Mann mit Pfeife steht plötzlich ganz dicht neben ihm. David ist ihm irgendwo schon einmal begegnet, der Mann kann zeitlich nicht allzu weit von ihm entfernt sein, er hat eine Plastiktüte in der Hand, darin zeichnen sich Bücher ab. Die Tüte ist kurz davor zu reißen.
    »Achtung«, sagt David und zeigt auf die Tüte. Der alte Mann lächelt und winkt ab:
    »Die geht nicht kaputt, das hätte sie früher machen müssen, jetzt ist es zu spät. Sieh hier«, sagt der Mann und zeigt David ein Loch im Plastik. »Da wäre sie fast gerissen, aber vorher war's vorbei und jetzt bleibt sie heil, für alle Zeit, bis auf dieses Loch.«
    Der Mann zieht an der Pfeife, genüsslich bläst er den Rauch aus, er schickt Ringe durch David, der hustet, und jetzt weiß David, wer da vor ihm steht.
    »Herr Mallnicht!«, ruft David und fällt ihm um den Hals, und jetzt, seltsam, greift er nicht durch ihn hindurch, kann er Wärme spüren und einen knochigen, aber festen Körper. »Greta hat Sie so vermisst«, sagt David und er ist froh, dass er Greta nicht neben Herrn Mallnicht auftauchen sieht. Ernst Mallnicht drückt ihn für ein paar Sekunden ganz fest.
    »Ja«, sagt er und: »Im Vermissen sind wir gut, David, nicht wahr?« David weiß nicht, ob das wahr ist, er weiß nicht, ob das, was er fühlt, ein Vermissen ist, meistens weiß er nicht einmal, ob er überhaupt etwas fühlt.
    »Ich weiß nicht«, sagt David und Ernst Mallnicht lässt ihn los, lächelt ihn an mit seinem blendend weißen Gebiss.
    »Doch, doch, mein Lieber, das weißt du sehr gut.« Ernst Mallnicht geht knackend in die Knie, lässt sich seufzend auf eine grüne Bank sinken, die da vorher ganz sicher nicht stand. Er klopft auf den Platz neben sich: »Setz dich, David.«
    »Aber –.«
    »Aber nichts«, unterbricht ihn Herr Mallnicht. »Weißt du, David, wo es nichts gibt, da ist alles möglich.« David versteht nicht, er wird unruhig, hinter den Bäumen hört er aufgeregte Stimmen, er bildet sich ein, Wacho und den Löwen brüllen zu hören wie um die Wette, vielleicht täuscht er sich auch. Im Transporter sitzt Milo immer noch ruhig, sein Kopf
lehnt an der Scheibe, ob er schläft? Ernst Mallnicht folgt seinem Blick und klopft dann wieder auf das Holz der Bank. »Lass ihn«, sagt er und: »Setz dich, ich bin später verabredet und du auch, aber noch haben wir beide ein bisschen Zeit.«
     
    Sie müssen ihn regelrecht einfangen, der Bürgermeister entwischt ihnen immer wieder, schlägt Haken.
    »Herr Wacholder«, ruft der Bauleiter. »Sie müssen jetzt wirklich mitkommen.«
    »Nein«, sagt Wacho, »niemals.«
    »Was soll das denn jetzt, Sie wissen doch ganz genau, dass wir Sie nicht hierlassen werden, gleich kommt das Wasser, wir nehmen Sie mit.« Wacho bleibt stehen und mustert die drei Männer, da stehen der Oberverantwortliche und der Bauleiter und dazu noch ein gewöhnlicher Gelbhelm, der sieht sehr stark aus und so, als könne er sich Wacho im Notfall packen und mitnehmen. Wacho späht an ihnen vorbei, in die Richtung, in die David eben verschwunden ist.
    »Ich warte auf meinen Sohn.« Der Verantwortliche lächelt, als er das hört, der Bauleiter macht es ihm nach, der Riesengelbhelm starrt auf den Boden.
    »Ihr Sohn, Herr Wacholder, ist ganz sicher schon oben auf der Mauer bei den anderen.«
    »Nein«, sagt Wacho. »Hier wird nicht geflutet, bevor ich David nicht gefunden habe.«
    »Sind Sie sicher, dass er noch hier ist?«, fragt der Bauleiter und sieht Wacho flehend an, er möchte, dass Wacho sich nicht sicher ist, dass er gleich zugibt, einfach nur ein bisschen verrückt zu sein.
    »Vollkommen«, sagt Wacho. »Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir helfen würden, meinen Sohn zu finden.«
    »Na toll«, sagt der Bauleiter. »Aber ich gehe davon aus, dass wir ihn in spätestens zehn Minuten gefunden haben wer
den, hier gibt es ja keine Verstecke.« Er hat recht. Alles liegt offen vor ihnen, aus dem Ort ist eine Fläche geworden, ein Platz, an dem es nichts gibt außer Erde und Luft.
    »Die Traufe«, sagt Wacho und: »Vielleicht sollten wir ihn zuerst unten beim Fluss suchen.« Weil niemand etwas
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