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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles
Autoren: Betty McDonald
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Künstlerin.
    Dann kamen wir in die höheren Klassen, und Mary vertauschte das Ballett mit emsiger Tätigkeit für den Mädchenklub, für von der Schule veranstaltete Theateraufführungen, für Vortragsabende und Opernvorstellungen. Wo es nur irgend möglich war, segelte ich in ihrem Fahrwasser. Einmal war es meine Rolle, aufs Stichwort aus einer riesigen Standuhr zu springen und einen Schleiertanz zu vollführen, ein andermal durfte ich nur in der Tanzgruppe mitmachen.
    Mit der Zeit reifte in mir die Überzeugung, daß Mary wohl doch recht hatte und jeder alles zu tun imstande war, nur schien es manchen Leuten bedeutend leichter zu fallen als andern.

2
    Als Mary zwanzig und ich achtzehn Jahre alt war, heiratete ich und übersiedelte in die Abgeschiedenheit der Berge auf eine Hühnerfarm, während Mary sich Hals über Kopf ins Geschäftsleben stürzte, was zu guter Letzt zu dem Resultat führte, daß es fast keine Firma, ob groß oder klein, in der Stadt Seattle gab, bei der sie nicht hinausgeworfen worden war.
    Marys Gekündigtwerden warf nie den geringsten Makel auf ihre Tüchtigkeit, die überragend war und blieb, sondern es war unweigerlich eine Sache der Prinzipien, und für gewöhnlich spielte bei den Auftritten, die ihre jeweiligen Anstellungen zu einem jähen Ende brachten, die Moral der gesamten Firma eine nicht zu unterschätzende Rolle.
    «Ob Sie der berühmteste Anwalt in ganz Seattle sind oder nicht, kümmert mich nicht. Sie können meiner Blase keine Befehle erteilen», schrie sie den Seniorchef einer alteingesessenen Anwaltsfirma in Seattle an, der in einer plötzlichen Anwandlung von Despotismus angeordnet hatte, daß die Stenotypistinnen des Betriebes nur zweimal täglich, und zwar um halb elf Uhr morgens und um halb vier Uhr nachmittags auf die Toilette zu gehen hätten.
    «Der erste Montag im September ist ‹Tag der Arbeit› und ein nationaler Feiertag, und da arbeite ich nicht, auch wenn Sie die Miliz zu Hilfe rufen», erklärte sie dem Bürochef einer anderen Anwaltsfirma, deren oberster Herr und Gebieter mit den Gewerkschaften auf schlechtem Fuße stand und Rache nahm, indem er seine Angestellten zwang, an diesem Landesfeiertag zu arbeiten.
    «Zwicken Sie eine Stenotypistin, die nicht tippen kann», riet sie einem anlehnungsbedürftigen Holzexporteur.
    «Henry Ford hat bewiesen, daß eine Ruhepause und ein Imbiß während des Vormittags und während des Nachmittags die Leistungsfähigkeit um hundert Prozent steigern, und da Henry Ford bedeutend mehr Geld verdient als Sie, gehe ich jetzt eine Tasse Kaffee trinken», erläuterte sie dem Personalchef einer großen Versicherungsgesellschaft.
    «Wenn Sie speziellen Wert darauf legen, ‹einem› mit ‹einen› und ‹den› mit ‹dem› zu verwechseln, dann ist das Ihre Sache, aber ich weigere mich, es in Ihren Briefen zu schreiben, weil es mir meinen Stil verdirbt», machte sie einem ungehobelten Fabrikanten klar.
    Obschon Mary nie lange an einem Ort blieb, fiel es ihr nie schwer, neue Stellungen zu bekommen, und die Stellenvermittler mochten sie alle gern. Sie selbst fand es herrlich, stets neue Arbeitsplätze auszuprobieren.
    «Es gibt nur zwei Möglichkeiten, sich eine Stelle zu suchen», belehrte sie mich. «Entweder du kommst als Aschenbrödel angeschlichen und zeigst dich begeistert von schlechter Bezahlung und langen Überstunden, oder du trittst mit dem ‹Mir-kann-keiner-Benehmen› auf, dann hast du, wenigstens für eine Weile, eine angenehme Stelle und dein Selbstbewußtsein,»
    Es war offensichtlich, daß die Aschenbrödel viel länger in ihren Stellungen blieben, aber natürlich hatten sie kein solch gesteigertes Selbstbewußtsein wie Mary und kamen auch nicht mit annähernd so vielen Leuten zusammen.
    Während Mary frisch-fröhlich Stellungen wechselte und immer neue Leute traf, züchtete ich Hühner, brachte zwei Kinder zur Welt und sah nie eine fremde Menschenseele. Im März 1931, nach vier Jahren dieses Lebens, faßte ich mir ein Herz und schrieb meiner Familie, daß ich Hühner haßte, schrecklich einsam wäre und bestimmt den falschen Mann geheiratet hätte.
    Dies geschah während der Krisenjahre, und ich erwartete nicht viel anderes als Mitgefühl von daheim, aber Mary, die damals die gesamte Familie unterstützte, fühlte sich gleich auch für mich verantwortlich und reagierte auf die ihr eigene dramatische Weise. Sie schrieb mir per eingeschriebenem Expreßbrief, daß sie eine fabelhafte Stellung für mich habe und ich
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