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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien
Autoren: Nancy Kress
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oder nicht mehr in der Stimmung, was auch immer. Doch dann beugte sich Camden vor und griff vorsorglich nach der Tür; es war keine Geste übertriebener Höflichkeit und weit entfernt von jedem Annäherungsversuch. »Also sollte ich besser ein zweites Laufställchen kommen lassen.«
    »Ja.«
    »Und einen zweiten Kindersitz für den Wagen.«
    »Mhm.«
    »Aber keine zweite Kinderschwester für die Nachtschicht.«
    »Das liegt ganz an Ihnen.«
    »Und an ihnen.« Er beugte sich unvermutet hinab und küßte sie. Es war ein so züchtiger, so respektvoller Kuß, daß Susan wie vom Donner gerührt war; weder plumpe Lüsternheit noch kühnes Eroberungsgehabe hätte sie so erschüttert wie dieser Kuß. Aber Camden gab ihr keine Gelegenheit zu einer Reaktion; er schloß die Wagentür, drehte sich um und ging zum Haus. Susan fuhr zum Eingangstor, die Hände ein wenig zittrig auf dem Lenkrad, bis die Erschütterung amüsiertem Frohsinn Platz machte: Es war ein mit Vorbedacht höflich und distanziert angelegter Kuß gewesen, ein Kuß, der zu Fragen Anlaß geben sollte. Und nichts auf der Welt hätte besser garantieren können, daß es nicht der letzte war.
    Sie fragte sich, welche Namen die Camdens ihren Töchtern geben würden.
     
    Doktor Ong schritt über den Korridor der Entbindungsstation; man hatte das Licht gedämpft, und als eine Schwester aus dem Schwesternzimmer hervorschoß, um ihn aufzuhalten – die Besuchszeit war lang vorbei, es war fast Mitternacht –, bemerkte sie erst im letzten Moment ihren Irrtum, und verzog sich nach einem kurzen Blick in sein Gesicht wieder dorthin, woher sie gekommen war. Die Sichtscheibe zur Säuglingsstation befand sich um die Ecke, und zu Ongs Verdruß stand Susan Melling davor und preßte die Stirn an das Glas. Gesteigert wurde sein Verdruß durch den Umstand, daß sie weinte.
    Mit einemmal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: Er hatte diese Frau nie gemocht. Vielleicht überhaupt keine Frau. Selbst wenn sie einen brillanten Verstand ihr eigen nannten, ließen sich diese Weiber durch ihre offenbar nicht zu beherrschenden Emotionen zum Narren machen.
    »Sehen Sie!« sprudelte Susan hervor, lachte ein wenig und wischte sich übers Gesicht. »Doktor Ong, sehen Sie!«
    Hinter dem Glas stand Roger Camden in keimfreiem Kittel und Gesichtsmaske und hielt ein Baby in weißem Hemdchen und rosa Decke hoch. Camdens leuchtend blaue Augen – ein Mann sollte wirklich nicht so auffallend blaue Augen haben! – strahlten. Der Kopf des Babys war mit blondem Flaum bedeckt, und es hatte große Augen und rosige Haut. Camdens Augen über der Maske sagten, daß kein Neugeborenes je über so wundervolle Attribute verfügt hatte.
    »Komplikationen bei der Entbindung?« fragte Ong.
    »Keine«, schluchzte Susan Melling. »Ganz glatt verlaufen. Elizabeth geht es auch gut. Sie schläft. Was für ein schönes Kind, finden Sie nicht? Einem Mann mit so wagemutigem, kühnem Geist bin ich noch nie begegnet.« Sie wischte sich die Nase am Ärmel ab. Ong merkte, daß sie ein wenig betrunken war. »Habe ich Ihnen je erzählt, daß ich schon mal verlobt war? Vor fünfzehn Jahren, als ich Medizin studierte. Ich habe mit ihm Schluß gemacht, weil er mir mit der Zeit zu mittelmäßig, zu langweilig wurde. Du lieber Gott, wie bin ich denn darauf gekommen? Entschuldigen Sie. Entschuldigen Sie bitte.«
    Ong wandte sich zum Gehen. Hinter dem Glas legte Roger Camden das Baby in ein kleines Bettchen auf Rädern zurück. Auf dem Namensschild stand: CAMDEN-1, WEIBL. 2700 g. Die Nachtschwester sah Camden mit nachsichtigem Lächeln zu.
    Ong wartete nicht ab, bis der stolze Vater die Säuglingsstation verließ; er hätte dann Susan Melling irgend etwas zu Camden sagen hören, was Ong gar nicht hören wollte, und so ging er rasch davon, um den Geburtshelfer ausrufen zu lassen. Unter diesen Umständen war auf Mellings Bericht kein Verlaß: Eine perfekte, noch nie dagewesene Chance, jedes Detail einer Genveränderung zu erfassen und mit einem nicht veränderten Kontrollindividuum zu vergleichen, und Melling interessierte sich mehr für ihre sentimentalen Gefühle! Wie es aussah, würde Ong den Bericht selbst verfassen müssen, nachdem er mit dem Geburtshelfer gesprochen hatte. Er wollte jede Einzelheit wissen – und nicht nur über das rosige Baby in Camdens Armen. Er wollte auch alles über das Kind in dem anderen Bettchen wissen. Über CAMDEN-2, WEIBL. 2300 g, das dunkelhaarige Baby mit dem fleckigen roten Gesichtchen, das
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