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Bettler 01 - Bettler in Spanien

Titel: Bettler 01 - Bettler in Spanien
Autoren: Nancy Kress
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eine wichtige entwicklungsgeschichtliche Funktion zu. Hatte der ewig-hungrige Urahn des Menschen sich endlich einmal den Bauch halbwegs gefüllt und seinen Samen in der Gegend verspritzt, sorgte der Schlaf dafür, daß er sich vor Raubtieren geschützt in einen Winkel verzog und keine überflüssigen Bewegungen machte. Schlaf war eine Überlebenshilfe. Doch nun ist er nur mehr ein anachronistischer Mechanismus, ein funktionsloses Überbleibsel wie der Blinddarm. Er schaltet sich zwar regelmäßig zur Nachtzeit ein, aber wirklich notwendig ist er nicht mehr. Und nun kommen wir und schalten ihn dort ab, wo er herkommt: in den Genen.«
    Ong wand sich. Er haßte übertriebene Vereinfachungen. Oder vielleicht war es auch Susans unbeschwerte, leichtsinnige Art, die ihm widerstrebte. Wäre Marsteiner hier gewesen, hätte sich kein ewighungriger Urahn in den Vortrag geschlichen.
    »Und was geschieht, wenn keine Träume mehr stattfinden?« fragte Camden.
    »Träume sind nicht unbedingt notwendig. Ein archaisches Bombardement der Großhirnrinde, um sie in Alarmbereitschaft zu halten, falls ein Räuber angreift, während das Individuum schläft. Der Wachzustand erledigt das besser.«
    »Und warum dann nicht von Anfang an einen ununterbrochenen Wachzustand? Vom Beginn der Evolution an?« fragte Camden.
    Er stellte sie auf die Probe. Susan schenkte ihm ein volles, strahlendes Lächeln und genoß seine beherzte Dreistigkeit. »Sagte ich doch schon. Reglosigkeit als Schutz vor räuberischen Überfällen. Aber wenn ein moderner Räuber angreift – jemand, der in grenzüberschreitende Datenatolle investiert, etwa –, ist es doch sicherer, wach zu sein.«
    »Und wie ist das mit dem hohen Anteil an REM-Phasen im Schlaf von Föten und Babies?« feuerte Camden zurück.
    »Das gehört auch zu den evolutionären Relikten. Das Gehirn kann sich auch ohne Träume perfekt entwickeln.«
    »Und die Regeneration von Nerven während des Tiefschlafs?«
    »Die findet statt. Aber sie findet auch im Wachzustand statt, wenn die DNA entsprechend programmiert wird. Es gibt, soweit wir wissen, durch den Ausfall von Schlaf keinen Verlust an nervlicher Belastbarkeit.«
    »Und wie ist es um die hochkonzentrierte Ausschüttung von Wachstumsfaktoren im Tiefschlaf bestellt?«
    Susan sah ihn bewundernd an. »Findet auch ohne Schlaf statt. Mit Hilfe gentechnischer Veränderungen können wir eine Verflechtung mit anderen Vorgängen in der Zirbeldrüse herstellen.«
    »Und wie steht es mit…?«
    »… den Nebenwirkungen!« rief Mrs. Camden dazwischen. Ihre Mundwinkel verzogen sich nach unten. »Wie steht es mit den verdammten Nebenwirkungen?«
    Susan drehte sich um und sah Elizabeth Camden an; sie hatte die junge Frau völlig vergessen, die sie nun mit zusammengepreßten Lippen anstarrte.
    »Gut, daß Sie danach fragen, Mrs. Camden. Es kommt nämlich zu Nebenwirkungen.« Susan machte eine effektvolle Pause; sie genoß die Situation. »Verglichen mit Gleichaltrigen sind die nicht schlafenden Kinder auch ohne gentechnisch erhöhten IQ intelligenter, flinker bei der Lösung schwieriger Aufgaben und fröhlicher.«
    Camden zog eine Zigarette hervor; das Vorhandensein dieser antiquierten, ekelhaften Gewohnheit bei Roger Camden überraschte Susan. Dann merkte sie, daß es eine bewußte Geste war: Roger Camden steuerte die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf eine ins Auge fallende Aktivität, um von seinen Gefühlen abzulenken. Sein goldenes Feuerzeug trug sein Monogramm und war von unschuldiger Geschmacklosigkeit.
    »Darf ich das erklären«, sagte Susan. »Während des REM-Schlafes wird die Großhirnrinde mit neuronalen Salven aus dem Hirnstamm beschossen; Träume entstehen, weil die arme belagerte Großhirnrinde mit allen Mitteln versucht, mit den plötzlichen Bild- und Erinnerungsreizen etwas Vernünftiges anzufangen. Sie wendet eine Menge Energie auf, um das zu tun. Gehirne, die nie im Schlafzustand sind, ersparen sich diesen Aufwand und den damit verbundenen Verschleiß und leisten Besseres bei der Aufnahme und Koordination der Eindrücke, die die Realität ihnen liefert. Daher die höhere Intelligenz und mühelosere Bewältigung von schwierigen Aufgaben.
    Dazu kommt noch eines: seit sechzig Jahren wissen Ärzte, daß Antidepressiva, die zur Stimmungshebung mutloser, bedrückter Patienten angewendet werden, den REM-Schlaf komplett unterdrücken. Und in den letzten zehn Jahren stellte sich heraus, daß dieses Phänomen auch umkehrbar ist: wenn man REM-Schlaf
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