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Bestimmt fuer dich

Bestimmt fuer dich

Titel: Bestimmt fuer dich
Autoren: Stefan Rognall
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Augen erfassten zwar die Wörter, aber die lösten sich bald auf, anstatt in Erinnerung zu bleiben.
    Rosanna betrachtete das Umschlagbild noch einmal, überlegte, ob sie das Buch auch ohne vorherige Stichprobe mit nach Hause nehmen sollte, legte es aber wieder zurück auf den Angebotstisch, als sie bemerkte, dass jemand sie anstarrte. Ein Mann, den Rosanna auf Ende dreißig schätzte und der mit seinem verknitterten Trenchcoat, seinen widerspenstigen dunklen Haaren und dem ebenso wenig auf Mode bedachten Dreitagebart aussah, wie sie sich einen Privatdetektiv vorstellte. Aber wer hätte einen auf sie ansetzen wollen – und vor allem: warum? Sie bot keinen Anreiz für Neugier, verbarg keine Geheimnisse, die von Interesse waren. Ob es sie gab oder nicht, kümmerte eigentlich niemanden.
    Die Bitterkeit dieser Erkenntnis versetzte Rosanna einen unerwarteten Schock. Sie könnte auf der Stelle tot umfallen, und es würde keine größeren Folgen haben. Ihre Schwester würde vielleicht ein wenig trauern, Kira ebenfalls, aber damit hätte sich es dann erledigt. Und warum auch nicht? Sie hatte nichts bewirkt, nichts entdeckt, nichts gewonnen, nichts geschaffen. Ihr bisheriges Leben war eine einzige Warteschleife gewesen, angefüllt mit Hoffnungen, die sich vielleicht einmal bestätigen würden, es dann aber doch nicht taten. Warum sollte sich schon jemand an sie erinnern? Kein Wunder, dass dieser Typ, der ein paar Meter entfernt an einem anderen Büchertisch stand, geradezu durch sie hindurchstarrte. Und selbst wenn er sie wahrnahm – was konnte er anderes sehen als eine Frau, die heute Morgen ein kleines Loch in ihrem Pullover entdeckt hatte, ihn aber aus Zeitgründen nicht mehr wechseln konnte, da sie schon zu lange darüber geflucht hatte, dass ihre Jeans offensichtlich eingelaufen waren und über ihrem Bauch spannten. Eine Frau, deren halblanges braunes Haar aufgrund einer eigensinnigen Naturwelle chronisch zerzaust aussah, anstatt gepflegt gebändigt worden zu sein (auch dafür war keine Zeit mehr gewesen). Eine Frau, die sich in der Ecke mit den Liebesromanen herumtrieb, anstatt um diese Zeit bei der Arbeit zu sein, und es offensichtlich aufgegeben hatte, ihr Leben in den Griff zu kriegen.
    Rosanna atmete tief durch. Sie hasste es, wenn sich ihr Selbstmitleid wie ein unwiderstehlicher Ohrwurm in ihrem Kopf einnistete. Aber was konnte sie dem entgegensetzen? Sollte sie daran glauben, dass sich alles schon irgendwie zum Guten wenden würde? Ein Lächeln aufsetzen und sich über die Frühlingssonne freuen? Ihre »innere Mitte suchen und die Kraft zur Veränderung in sich mobilisieren«, wie es eines der vielen Ratgeber-Bücher im Regal nebenan vorschlug?
    Auf einmal beschlich Rosanna eine merkwürdige Ahnung, dass sie heute nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren würde. Und vielleicht auch nicht einmal mehr nach Hause.

    Lukas starrte auf die große Uhr, die ein paar Meter entfernt an der gegenüberliegenden Wand hing, und spürte seinen wachsenden Widerwillen. Er wusste, dass der Termin, der in einer Stunde beginnen würde, sein letzter sein würde, aber die Erleichterung darüber wollte sich noch nicht einstellen – vielleicht, weil die bisherigen Zusammenkünfte mit Waldemar Herrlichter seine Nerven bereits über Gebühr strapaziert hatten. Der Artikel, den er über den selbst ernannten Wunderheiler schreiben würde, sollte jedoch, wenn schon nicht unvoreingenommen, zumindest gut recherchiert sein, sodass Lukas keine andere Möglichkeit sah, als den Behandlungszyklus heute wie besprochen zu beenden.
    Lustlos betrachtete er die vor ihm ausgelegten populären Wissenschaftsbücher, die versprachen, die Welt zu erklären, doch deren oberkluger, polemisch verknappender Stil Lukas dermaßen verärgerte, dass er sich freute, als sein Blick stattdessen auf eine andere Neuerscheinung über Weltuntergangsprophezeiungen fiel, mit der er sich aufheitern könnte.
    Lange darin lesen konnte er jedoch auch nicht. Sein Blick ging wieder zur großen Uhr, vor der nun eine Frau stand, die ihrerseits in einem Buch blätterte. Lukas hatte nicht die Absicht, die Frau zu mustern, aber aus irgendeinem Grund konnte er das nicht vermeiden. Nicht, weil sie mit gewagter Kleidung auf ihren Körper aufmerksam machte oder flirtend zu ihm herüberlachte. Vielmehr starrte sie ihn an, als wollte er sie gleich um Kleingeld anbetteln. Er wusste, dass sein Trenchcoat ein wenig mitgenommen war, und straffte unwillkürlich seine Schultern, um wenigstens
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