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Bestialisch

Titel: Bestialisch
Autoren: J.A. Kerley
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schätzte ihn auf Ende dreißig – ein paar Jahre älter als ich. Sein Gesicht war blass und von Aknenarben übersät. Die kleinen Augen wirkten wie winzige grüne Erbsen in einer Schale Haferbrei. Seine Haare waren weder blond noch braun, sondern irgendein Farbton dazwischen. Ich hatte gehört, wie ihn jemand Bullard genannt hatte.
    »Auf ihren Unterarmen haben wir blaue Flecken gefunden. Allem Anschein nach hat sie sich gewehrt«, sagte Waltz. »Unter ihren Nägeln, die sie bedauerlicherweise kurz trug, haben wir nichts entdeckt. Sobald wir von hier verschwinden, wird das Team von der Spurensicherung den Boden absaugen. Vielleicht finden sie ja etwas, was uns weiterhilft.«
    »Wieso hat das Opfer ausgerechnet Sie ins Spiel gebracht?«, meldete sich die Alpha-Lady wieder zu Wort. »Und weshalb hat sie Sie um Verzeihung gebeten?«
    »Ich bin gerade eben erst hier eingetroffen. Woher, verflucht noch mal, soll ich das wissen?«
    »He«, bellte Bullard. »Hüten Sie Ihre Zunge.« Er drückte den Rücken durch, um mir zu zeigen, dass er größer und breiter war als ich.
    »Sachte, Bubba«, warnte die Alpha-Lady. »Ich brauche endlich einen Anhaltspunkt. Waltz hat mir von dem Irrenhaus erzählt, wo sie arbeitete, dieser Klinik. Könnte es sein, dass ein ehemaliger Patient einen Groll gegen sie hegt?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Unmöglich.«
    »Ist Wahrsagen auch eins Ihrer Talente?«
    »Aus der Klinik kommt man nur raus, wenn man seinen letzten Atemzug getan hat. Dort geht es nicht um Wiedereingliederung, sondern um die Analyse der Insassen.«
    Waltz nickte. »Er hat recht. Ich kenne die Einrichtung.«
    »Haben Sie überprüft, wo Dr. Prowse seit ihrer Ankunft gewesen ist, Lieutenant?«, fragte ich. »Vielleicht wurde sie von dem Täter schon früher ins Visier genommen. Möglicherweise gleich auf dem Flughafen. Man könnte …«
    Sie hob die Hand und schenkte mir ein nachsichtiges Lächeln, das gespielt war. »Ich will gern glauben, dass Sie sich daheim hervorragend machen, Detective, aber lassen Sie mich Ihnen eines versichern: Wir wissen, was wir tun. Schließlich machen wir das nicht zum ersten Mal.« Dann wandte sie sich mit ihrem falschen Lächeln an Waltz. »Gehen Sie mit ihm Mittag essen, Detective. Zeigen Sie ihm die Freiheitsstatue. Lassen Sie ihn ein paar Postkarten kaufen. Und dann ist es höchste Zeit, dass unser geschätzter Leiharbeiter wieder nach Mississippi zurückkehrt.«
    Ehe ich etwas erwidern konnte, drehte sie mir den Rücken zu und stolzierte mit ihren Lakaien im Schlepptau davon. Und damit war der kleine Kompetenzstreit, von dem Waltz sich offenbar nicht beeindrucken ließ, beendet.
    »Im Monolog des guten Lieutenants habe ich irgendwo das Wort Mittagessen aufgeschnappt«, meinte er. »Ein paar Blocks von hier gibt es ein ganz passables Restaurant. Sollen wir da mal vorbeischauen, Detective Ryder?«
    *
    Das Restaurant bestand eigentlich nur aus einer langen schmalen Theke und ein paar Tischen an einer Wand, die mit vergilbten Sardinienpostern zugekleistert war. Da ich keinen Hunger hatte, stocherte ich lustlos in meinem Salat herum. Waltz, der anscheinend ebenfalls unter Appetitlosigkeit litt, nahm einen kleinen Bissen von seinem Hühnchensandwich.
    Auf Waltz’ Position in der Polizeihierarchie konnte ich mir keinen Reim machen. Er hatte den Dienstgrad eines Detectives, während Alice Folger, die Alpha-Lady, Lieutenant war. Waltz gegenüber gab sie sich recht barsch, obwohl sie augenscheinlich darauf achtete, ihn nicht zu sehr in die Enge zu treiben. Und ich hätte auch zu gern gewusst, wer Waltz die Befugnis gab, eine Ermittlung mehrere Stunden lang ruhen zu lassen, bis ich in New York gelandet war. Für so eine Aktion brauchte man außergewöhnliche Verbindungen.
    Gerade als ich ihn das fragen wollte, schob Waltz sein kaum angerührtes Sandwich beiseite. »Lassen Sie uns mal annehmen, Dr. Prowse wähnte sich in Gefahr. Warum hat sie dann nicht beim NYPD um Schutz gebeten?« Er hielt inne. »Das legt den Schluss nahe, dass sie keine Angst hatte. Und dass sie mitten in der Nacht joggen gegangen ist, untermauert diese These.«
    »Was ist mit der Videoaufzeichnung?«
    »Wir wissen nicht, wann sie gemacht wurde. Oder aus welchem Grund. Haben Sie wirklich keine Ahnung, warum sie kurz vor ihrem Tod Ihren kompetenten Umgang mit Psychopathen erwähnt?«
    Waltz’ Plauderton konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich verhört wurde. Ich schaute schnell nach unten. Da wurde mir klar, dass so
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