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Bestialisch

Titel: Bestialisch
Autoren: J.A. Kerley
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Frauenkörper. Nein, rebellierte mein Verstand plötzlich, der Kopf ist da. Der Kopf mit den weit aufgerissenen Augen starrte mich nämlich aus der aufgeschnittenen Bauchhöhle an. Das Bild, das sich mir bot, war grauenvoll und völlig grotesk.
    In dem Moment traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz: Ich kannte dieses Gesicht.
    Mir stockte der Atem. Ich bekam weiche Knie, und der Raum begann zu wanken. Waltz schob eine Hand unter meine Achsel und stützte mich. Ich schloss die Augen. Mehrere Sekunden verstrichen, ehe ich sie wieder öffnen konnte.
    »Sie kennen sie, oder?« Waltz studierte mein Gesicht. »Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
    Ich wartete, bis sich der Raum nicht mehr drehte, bis ich die Kraft fand, die Worte herauszupressen. »Ihr Name ist Dr. Evangeline Prowse. Sie ist die Leiterin des Alabama Institute of Aberrational Behavior. In dieser Einrichtung landen einige der abartigsten Mörder Amerikas. Fleischgewordene Albträume.«
    »Ich habe von dieser psychiatrischen Klinik gehört. Sind Sie sicher, dass sie Prowse ist?«
    Ich nickte und trat an ein offenes Fenster, um Luft zu schnappen. Vielleicht legte sich der Schwindel dann. Waltz brachte mir einen Pappbecher mit Wasser und dirigierte mich zu einem Stuhl.
    »Besser?«, fragte er, als ich das Wasser in tiefen Schlucken trank.
    »Wird schon«, log ich.
    »Wie gut haben Sie sie gekannt?«
    »Sie hat die Polizei von Mobile bei mehreren Fällen beraten. Wir mochten uns. Man könnte uns sogar als Freunde bezeichnen. Wir hätten uns gern häufiger gesehen, konnten es aber leider nur selten einrichten.«
    Und nun würden wir es nie mehr einrichten können. Das Wissen, dass ich mich mit Vangie nie mehr unterhalten würde, war schier unerträglich.
    »Wann haben Sie Dr. Prowse zum letzten Mal gesehen?«, wollte Waltz wissen.
    »Vor zwei Monaten. Ich war in der Nähe von Montgomery und schaute kurz bei ihr rein. Wir saßen in ihrem Büro, haben uns ein Sandwich geteilt und eine halbe Stunde lang geplaudert. Mehr war nicht.«
    Das behauptete ich zumindest. Denn da war noch viel mehr, worüber ich aber nicht sprechen mochte. Ich hatte ein Geheimnis, in das nur fünf Menschen eingeweiht waren. Zu den Auserwählten hatte auch Evangeline Prowse gehört.
    »Hat sie erwähnt, dass sie einen Trip nach New York plante?«
    »Vangie ist in Queens aufgewachsen und hat bis Anfang dreißig in dieser Stadt gelebt. Sie kam regelmäßig hierher. Das war nichts Besonderes.«
    »Hatte ihre Reise einen beruflichen Anlass? Haben Sie und Dr. Prowse vielleicht kooperiert? Gemeinsam einen Fall bearbeitet?«
    »Nicht in den letzten Jahren.«
    »Sind Sie sich sicher? War da wirklich nichts?«
    »Shelly, verflucht noch mal, wieso bin ich hier? Wieso haben Sie keinen Kollegen angefordert oder einen …«
    Leicht entnervt stieß er einen Seufzer aus. »Wir stehen hier vor einem Rätsel. Folgen Sie mir.«
    Waltz und ich kehrten zum Fahrstuhl zurück, wo die anderen Ermittler warteten. Die gepflegte Alpha-Lady lehnte betont nonchalant mit verschränkten Beinen an der Wand und hatte ein Handy zwischen Schulter und Wange geklemmt. »Keine Ahnung, was der Südstaatler hier zu suchen hat. Ich warte nur darauf, dass er eine Lupe aus der Tasche zieht und mich fragt, wo die Spuren sind, denen er folgen soll …«
    Sie beendete das Gespräch und tippte mit einem pinkfarben lackierten Nagel auf ihre Armbanduhr. »Ich muss jetzt los, Waltz. Und da wir jetzt diesen verdammten Kongress an der Backe haben, vermute ich, dass Sie es auch eilig haben. Lassen Sie uns endlich loslegen und dieses Theater hinter uns bringen.«
    Waltz spitzte die Lippen und stieß einen Pfiff aus. Der junge Mann, der die Jacke mit dem Aufdruck TECH-NISCHER DIENST trug, tauchte mit einem batteriebetriebenen Videogerät auf, das wie ein Säugling in seiner Armbeuge lag. Auf seinem Namensschild stand J. Cargyle. Der Bursche hob das Gerät hoch. Waltz drückte auf die Play-Taste. Alle Anwesenden scharten sich um ihn.
    Als die Elektronen zum Leben erwachten, rutschte mir das Herz in die Hose: Auf dem Monitor war eine Nahaufnahme von Vangies Gesicht zu sehen, im Hintergrund eine weiße Wand. Das winzige Mikrophon der Kamera verzerrte die Hintergrundgeräusche so stark, dass man nur noch ein undefinierbares Rauschen hörte. Sie zog die Kamera mit zitternden Händen heran, bis ihr Gesicht deutlich im Bildausschnitt zu erkennen war. Vangie wirkte müde, unter ihren braunen Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab.
    »Für den Fall, dass Sie
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