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Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Titel: Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Autoren: Asta Scheib
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eckig wie Vater zu sein. Viel lieber wäre sie, wie ihre Schwester Sybille, ihrer Mutter ähnlich gewesen, an der alles rund schien, weich, warm und feminin.
    Die Haut des Vaters war dunkel, auch bei großer Hitze trug er meist hohe blütenweiße Hemdkragen, Anzüge aus feinstem Tuch. Im Sommer wie im Winter trug er Hüte teurer italienischer Hutmacher. Auch wenn Vater daheim war, schien er auf merkwürdige Weise abwesend. Er durchschritt alle Zimmer, tauchte unvermutet überall auf, schien jedoch niemanden zu sehen, sondern unter zusammengezogenen Brauen in Räume zu schauen, von denen Therese annahm, daß es dort Bilanzen gab und Zollabkommen. Dabei saugte Vaters Mund unter dem buschigen Schnauzbart nervös an dem Zigarillo. Selten, daß Vater redete. War er je zärtlich gewesen?
    Doch, einmal. Da war Therese neun Jahre alt und ging in Venedig verloren. Das Wunder der Gondelfahrt, die Gondoliere, die einander riefen – Therese und den anderen war es nicht erklärlich gewesen, wieso Therese die Eltern, Sybille und das Gepäck aus den Augen verlor. Jedenfalls war sie plötzlich allein in dämmrigen Gassen. Sie lief an Kanälen vorbei, überall leckte dunkles Wasser an graue Mauern. Gierig schien es Therese, dieses Wasser, bedrohlich, denn die Kanäle waren die Straßen der Stadt, es gab keine Gehsteige. Mauern der Häuser und Paläste standen direkt im Wasser, es schien Therese gefährlich, aber auch unsagbar vornehm, märchenhaft, kühl, so als liefe Therese durch einen Traum. Doch bald machte ihr diese Entrücktheit angst. Sie lief, rannte. Die Schritte rannten hinter ihr her, Therese sehnte sich nach den Eltern, nach Sybille, nachKindern und Hunden, und da kam sie auch an einen Platz, der laut war und fröhlich und hell in der Sonne lag. Frauen zeigten Therese den Weg nach San Marco. Ein größerer Junge begleitete sie, und dann sah Therese ihren Vater, und es schien ihr wirklich, als habe sie alles geträumt. Vor allem das Gesicht des Vaters, bleich, mit großen Augen über den hohen Backenknochen, seine Arme, die Therese fest an sich drückten. Diese Zärtlichkeit verwandelte sich bald wieder in Distanz. Doch es hatte sie gegeben. Sie gehörte Therese, die sie versiegelte.
    Damals schien es noch, als sei Therese die ganze Welt versprochen. Ihre Eltern konnten sie ihr schenken. Mutter hatte Verwandte in Schweden und Frankreich, sogar in Moskau. Vaters Bruder lebte in Amerika. An der Hand der Eltern besuchte Therese schon als kleines Kind New York, Stockholm und Paris. Die Reisen im mächtigen Bauch eines Schiffes, das Vibrieren der Motoren, das Wiegen und Stampfen, der Blick durch die Bullaugen bei Nacht – für Therese Unbegreifliches, das sie mit niemandem teilen und daher nicht fassen konnte. Ein Sturm kam, der blanke Hans. Doch er holte Therese nicht. Das Meer zog Therese an, doch viel mehr noch fürchtete sie es, sein drohendes Brüllen, vor allem in der Nacht auf dem Schiff, unter Therese die unfaßbare Tiefe. Niemals verließ sie die Angst.
    Sie suchte Heil und Beruhigung in den heiteren und gelösten Gesichtern der Eltern. Doch vor allem in dem ernsten, hoheitsvollen Gebaren des Kapitäns, der zuweilen an den Tisch der Eltern kam. Dann saßen die Suttners, umsorgt von weißgekleideten Kellnern, beim Sieben-Uhr-Dinner, doch Therese fürchtete schon die Nacht. Man brachte sie zu Bett, sie hörte die Bordmusik. Seltsam tröstlich spielte sie gegen Thereses Angst an. Sie konnte keinen Blick lassen von der Finsternis des Meeres, das durch die Bullaugen Therese bedrohlich nahe schien. Ewigund mächtig, wie es war. Wenn dann der Wind heulte, den Aufruhr des Wassers im Sturm ankündigte, wenn die Wellen sich hoch gegen das Schiff auftürmten, als wollten sie es niederwalzen, dann vergrub sich Therese in den Kissen, fühlte sie sich ohne Schutz. Näher mein Gott zu dir. Therese wußte alles über das Geschick der »Titanic«, des königlichen Schiffes, das auf seiner Jungfernfahrt von Southampton nach New York rauschte und an einem Eisberg versank. Therese war froh, daß die Kapelle ihres Schiffes einen Foxtrott spielte und nicht ›Näher mein Gott zu dir‹. Sie wollte nicht zu Gott, sie wollte, daß ihre Eltern endlich kämen. Es war ihr in diesen Momenten der Angst ein Rätsel, warum die Eltern und dieser herrliche Kapitän sich auf ein tobendes Meer begaben, von unendlichen brüllenden Wassermassen nur durch den dünnen eisernen Bauch eines Schiffes getrennt. Dieses verdammte Meer, dachte Therese, es leckt
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