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Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Beschuetz Mein Herz Vor Liebe

Titel: Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Autoren: Asta Scheib
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nun wisse, daß er kein Deutscher sei, er wolle auch keiner mehr sein.
    Therese wußte, daß ihr Vater sich schämte. Sie selbst schämte sich auch, vor Mutter, vor Sybille, vor Anni – und vor dem Vater. Schließlich spürte sie jeden Tag die Verachtung, den Haß. Hatte sie nicht geschwiegen, als sie um Milch angestanden war und die Verkäuferin der alten Dame die leere Kanne zurückschob mit der triumphierenden Bemerkung: »An Juden verkaufen wir nicht.« Mit zittrigen Händen hatte die Frau ihre Kanne genommen, war wortlos gegangen. Therese hatte so viel Wut gespürt, ihr Herz pochte bis in ihre Ohren, am liebsten hätte sie der Verkäuferinihre Kanne ins Gesicht geworfen und wäre mit der Frau aus dem Laden gegangen, aber nein. Sie hatte Angst gehabt, selber als Jüdin entdeckt zu werden, keine Milch, keine Butter mehr zu bekommen.
    Therese konnte nichts anrühren von der Milch, sie konnte auch niemanden ansehen. Sie fühlte sich leer und müde. War sie falsch, durchtrieben, egoistisch, wie die Juden jetzt überall geschildert wurden? Therese, die früher leicht und frei durch ihre Stadt gegangen war, voller Erwartung auf ein noch schöneres Morgen, Therese sah nun, wie andere aus Häusern geprügelt wurden, aus Kinos herausgerufen. Jedesmal schoß der Zorn wie eine Stichflamme in Therese hoch. Jedesmal wollte sie solidarisch sein, und doch blieb sie stumm, duckte sich, damit sie noch einen Tag länger unentdeckt bliebe. Mit jedem Tag lockerten sich die Verflechtungen, die Therese in ihre Stadt eingebunden hatten.
    Warum waren die Suttners nicht überhaupt weggegangen aus München, als es noch Zeit war? Die ewige Frage. Mutters Bruder war in England. Die Friedmanns, engste Freunde der Eltern, lebten schon seit sechs Jahren in den Staaten von Amerika. Therese wußte, daß ihre Eltern sich im stillen Vorwürfe machten, daß sie nicht wenigstens die Töchter in Sicherheit gebracht hatten. Gesprochen wurde darüber nicht mehr. Doch Therese fragte sich, wie Vater sich wohl immer beschwichtigt haben mochte. Hatte er derart intensiv für seine Firma gelebt, für seine Geschäfte, daß er die Gefahr nicht in ihrem ganzen Ausmaß erkennen konnte? Hatte er die Nationalsozialisten, denen er politisch und wirtschaftlich nichts zutraute, hatte er sie nicht maßlos unterschätzt? Vaters Geschäftsfreund Tietz hatte Deutschland längst verlassen, die Bernheimers waren gegangen, die Wallachs. Delia lebte mit ihren Eltern in Rio de Janeiro.
    Doch jetzt, nach der Zeit im Keller der Gestapo, jetzt konnte auch Vater nicht mehr glauben, daß ihm, dem im geschäftlichen Ausland Angesehenen, schon nichts passieren würde.
    Wie oft hatte Therese ihren Vater in der Vergangenheit sagen hören, daß er Deutscher sei und Deutschland sein Vaterland. »Das Vaterland ist da, wo die Seele des Menschen ist. Für uns ist das in Deutschland, wo wir seit Generationen leben. Deutsch ist unsere Muttersprache, wir gehören zum deutschen Volk. Hier und nur hier ist unsere Heimat. Die lassen wir uns doch nicht wegnehmen durch ein paar Schwachsinnige, die es emporgeschwemmt hat. Es hat schon immer Judenfeinde gegeben, das kann mich nicht beirren. Schließlich gebe ich über tausend Leuten Arbeit und Lohn. Wie soll mich da die Angstpolitik einiger Antisemiten irremachen.«
    Therese verstand gut, daß der Vater sich jetzt in sein Zimmer einschloß, daß er niemanden sehen mochte. Therese hätte ihn auch nicht ansehen mögen. Es schien ihr, als seien sich ihre Blicke ausgewichen. War das schon immer so gewesen, oder hatte die neue Zeit auch diese Verlegenheit gebracht? Therese hätte ihren Vater so vieles fragen mögen, aber sie fühlte sich linkisch, unfähig, einen Anfang zu finden. Sie suchte nach Worten, aber es standen ihr keine zur Verfügung.
    Früher, in der Freiheit, war Vater ihr jemals näher gewesen? Oder war es nicht vielmehr so, daß Therese freier im Haus umherging, wenn Vater verreist war? Hatte seine Anwesenheit sie nicht oft genug bedrückt? Und doch – wenn sein Platz am Tisch leer war, der Geruch seiner Zigarillo nicht in der Luft hing, verspürte sie Sehnsucht. Konnte es sein, daß sie ihren Vater ersehnt und gefürchtet zugleich hatte? Es hieß allgemein von Therese, daß sie sehr viel Ähnlichkeit mit ihrem Vater habe. Er war groß, mager,ja mager. Seine Schultern waren eckig. Er hatte seltsam hohe, dünne, sehnige Beine. Bei ihm konnte man nicht gemütlich auf dem Schoß sitzen. Therese hätte viel darum gegeben, nicht so groß und
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