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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Autoren: Philip Kerr
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Durchsuchen der Taschen fand ich eine tschechische 38er Automatik, eine Anzahl von Armbanduhren - vermutlich allesamt gestohlen - und eine halbgeleerte Flasche Mos kowskaja. Nachdem ich beschlossen hatte, die Waffe und die Uhren zu behalten, entkorkte ich den Wodka, wischte den Hals ab und hob die Flasche gegen den frostigen Nachthim mel.
    « Alla rasi bo san (Gott beschütze dich)), sagte ich und nahm einen kräftigen Schluck. Dann warf ich die Flasche und den Mantel aus dem Zug und schloß die Tür.
    Auf dem Bahnhof trieben Schneeflocken in der Luft und sammelten sich im Winkel zwischen der Bahnhofsmauer und der Straße zu kleinen Abhängen. Es war kälter, als es die ganze Woche gewesen war, und am bedeckten Himmel drohte noch Schlimmeres. Nebel lag auf den weißen Straßen wie Zigarrenrauch, der über ein frisch gestärktes Tischtuch treibt. In der Nähe brannte eine Straßenlaterne, ohne viel Licht zu spenden, aber es war trotzdem so hell, daß mein Ge sicht die Neugier eines britischen Soldaten erregte, der, in je der Hand ein paar Flaschen Bier, heimtorkelte. Das verständ nislose Grinsen des Suffs auf seinem Gesicht veränderte sich und drückte eine gewisse Vorsicht aus, als er mich erblickte, und er fluchte aus unterdrückter Furcht. Ich humpelte rasch an ihm vorbei und hörte das Geräusch einer Flasche, die, nervösen Fingern entglitten, auf dem Pflaster zerbrach. Plötzlich wurde mir bewußt, daß meine Hände und mein Gesicht mit dem Blut des Russen bedeckt waren. Ich muß ausgesehen haben wie Julius Cäsars letzte Toga.
    Ich flüchtete in eine nahe Gasse und wusch mich mit etwas Schnee. Er schien nicht nur das Blut, sondern auch die Haut zu entfernen, und vermutlich sah mein Gesicht danach ge nauso rot aus wie vorher. Nachdem ich meine eisige Toilette beendet hatte, schritt ich so scharf aus, wie ich konnte, und erreichte ohne weitere Abenteuer meine Wohnung.
    Inzwischen war es Mitternacht, als ich meine Eingangstür aufstemmte - zumindest war es leichter reinzukommen als raus. Da ich erwartete, meine Frau im Bett zu finden, war ich nicht überrascht, daß die Wohnung dunkel war. Doch als ich ins Schlafzimmer ging, sah ich, daß sie nicht da war. Ich leerte meine Taschen und schickte mich an, schlafen zu ge hen. Als ich die Uhren des Russen auf dem Toilettentisch aus gebreitet hatte, erwies sich, daß sie alle gingen und nur eine oder zwei Minuten voneinander abwichen - eine Rolex, eine Pilotenuhr, eine goldene Patek und eine Roxas. Doch der An blick so vieler exakter Zeitmesser schien Kirstens Verspätung nur zu unterstreichen. Ich hätte mir Sorgen um sie machen müssen, doch da war der Verdacht, den ich hegte, wo sie war und was sie machte, und die Tatsache, daß ich vollkommen fertig war.
    Meine Hände zitterten vor Erschöpfung, meine Hirnschale schmerzte, als habe man sie mit einem Fleischklopfer bear beitet. Als ich ins Bett kroch, fühlte ich mich wie jemand, den man von den Menschen vertrieben hat, um wie ein Ochse Gras zu fressen.
    3
    Ich erwachte vom Knall einer entfernten Explosion. Sie sprengten dauernd gefährliche Ruinen. Der Wind fegte mit Wolfsgeheul gegen die Scheiben, und ich drückte mich enger an Kirstens warmen Körper, während mein Verstand be gann, langsam die Hinweise zu entschlüsseln, die mich wie derum in das dunkle Labyrinth des Zweifels führten: der Ge ruch ihres Nackens, der Zigarettenrauch in ihrem Haar.
    Ich hatte sie nicht ins Bett kommen hören.
    Allmählich begann sich ein doppelter Schmerz in meinem rechten Bein und in meinem Kopf bemerkbar zu machen. Ich schloß wieder die Augen, stöhnte, rollte mich mühsam auf den Rücken und erinnerte mich an die schrecklichen Ereig nisse der letzten Nacht. Ich hatte einen Mann getötet. Das Schlimmste war, ich hatte einen russischen Soldaten getötet. Daß ich in Notwehr gehandelt hatte, würde vor einem von den Sowjets eingesetzten Gericht so gut wie keine Rolle spie len, das wußte ich. Für jemanden, der einen Rotarmisten tö tete, gab es nur eine Strafe. Ich fragte mich, wie viele Leute mich wohl auf dem Bahnhof gesehen hatten, einen Mann mit den Händen und dem Gesicht eines Kopfjägers, und kam zu dem Schluß, daß es wohl besser war, wenn ich mich, zumin dest eine Zeitlang, aus der Sowjetzone fernhielt. Als ich noch an die von Bomben beschädigte Decke des Schlafzimmers starrte, fiel mir die Möglichkeit ein, daß die Zone sich viel leicht entschließen könnte, zu mir zu kommen: Noch war Berlin wie ein löchriger
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