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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Autoren: Philip Kerr
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Steingrab, das Zeugnis ablegte von der Verwüstung durch den Krieg und von der Gewalt von 75000 Tonnen hochexplosiven Spreng stoffs. Beispiellos war die Verwüstung, die über die Haupt stadt des Hitlerschen Ehrgeizes hereingebrochen war: eine Verheerung im Wagnerianischen Maßstab, mit welcher der Ring-Zyklus sich schloß - die letzte Illumination dieser Göt terdämmerung.
    In vielen Teilen der Stadt wäre ein Stadtplan nicht nützlicher gewesen als ein Fensterleder. Hauptstraßen mäan derten wie Flüsse zwischen hohen Ufern aus Schutt. Pfade wanden sich über Berge von tückischem Geröll, dem manch mal, bei wärmerem Wetter, ein Geruch entstieg, der unmiß verständlich darauf hinwies, daß dort noch etwas anderes als häusliches Mobiliar begraben war. Da Kompasse Man gelware waren, brauchte man viel Nerven, um sich den Weg durch Faksimile-Straßen, an denen nur die wackeligen Fassaden von Geschäften und Hotels wie nicht mehr benö tigte Filmkulissen stehengeblieben waren, zu bahnen. Man brauchte ein gutes Erinnerungsvermögen an Gebäude, in de nen immer noch Leute in feuchten Kellern oder, ein wenig riskanter, in den unteren Geschossen von Mietshäusern wohnten, von denen eine Hauswand säuberlich entfernt war, so daß, wie in einem riesigen Puppenhaus, alle Räume und das Leben darin zur Schau gestellt waren: Es waren wenige, die sich in die oberen Geschosse wagten, weil es so wenige unzerstörte Dächer und so viele gefährliche Treppenhäuser gab.
    Das Leben im Trümmerhaufen Deutschland war häufig ebenso gefährlich wie in den letzten Tagen des Krieges: eine einstürzende Mauer hier, ein Blindgänger dort. Es war im mer noch ein bißchen wie in der Lotterie.
    Am Bahnhof kaufte ich mir eine Karte, von der ich hoffte, sie würde vielleicht das große Los sein.
    2
    In jener Nacht, auf der Rückfahrt von Potsdam nach Berlin, saß ich allein im Waggon. Ich hätte vorsichtiger sein sollen, jedoch ich war mit mir zufrieden, daß ich den Fall des Dok tors erfolgreich abgeschlossen hatte. Aber ich war auch

    müde, weil dieses Geschäft fast den ganzen Tag und einen be trächtlichen Teil des Abends in Anspruch genommen hatte.
    Dabei war der größte Teil meiner Zeit durch die Reise draufgegangen. Gewöhnlich dauerte das Reisen zweimal bis dreimal so lange wie vor dem Krieg; und was einst eine halb stündige Fahrt nach Potsdam gewesen war, dauerte jetzt fast zwei Stunden. Ich schloß meine Augen, um ein Nickerchen zu machen, als der Zug langsamer wurde und dann rüttelnd zum Stehen kam.
    Ein paar Minuten vergingen, bevor die Wagen tür sich öff nete und ein großgewachsener und ungemein übelriechender russischer Soldat hereinkletterte. Er murmelte mir einen Gruß zu, den ich mit einem höflichen Nicken erwiderte. Doch fast im selben Augenblick wurde ich hellwach, als er sich auf seinen riesigen Füßen gemächlich herumschwang, seinen Mosin-Nagant-Karabiner von der Schulter nahm und ihn entsicherte. Statt auf mich zu zielen, drehte er sich um, feuerte durch das Abteilfenster, und nach einer kurzen Pause setzte mein Atem wieder ein, als ich begriff, daß er dem Lo komotivführer ein Zeichen gegeben hatte. Der Russe rülpste, ließ sich schwerfällig nieder, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, zog mit seiner schmutzigen Hand die Lammfellmütze vom Kopf, lehnte sich zurück und schloß die Augen.
    Ich zog ein Exemplar des von den Briten kontrollierten Tele graf aus meiner Manteltasche. Ein Auge auf den Iwan gerich tet, tat ich so, als läse ich. Die meisten Nachrichten handelten von Verbrechen: Vergewaltigung und Raub waren in der Ostzone so verbreitet wie der billige Wodka, der häufig der Auslöser dieser Taten war. Manchmal wollte es so scheinen, als sei Deutschland noch immer im blutigen Griff des Drei ßigjährigen Krieges. Ich kannte eine gute Handvoll Frauen, die nicht darüber sprechen konnten, daß sie von einem Russen belästigt oder vergewaltigt worden waren. Und selbst

    wenn man die Phantasien einiger Neurotiker berücksich tigte, blieb noch immer eine schwindelerregende Zahl von Sexualverbrechen übrig. Meine Frau kannte einige Mäd chen, die erst vor kurzem angegriffen worden waren, am Vorabend des dreißigsten Jahrestages der Oktoberrevolu tion. Eines dieser Mädchen, das auf einem Polizeirevier in Rangsdorf von nicht weniger als fünf Rotarmisten vergewal tigt worden und dabei mit Syphilis infiziert worden war, ver suchte, Anzeige zu erstatten, doch es sah sich einer gewaltsa men
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