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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman
Autoren: Haymon
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veränderte sich, Baumwurzeln wachsen und breiten sich aus, sie verändern ihre Lage, und in der fetten, feuchten Gartenerde, da würde bestimmt alles in kurzer Zeit verrotten. Angelina hatte plötzlich keine Zweifel mehr, dass sie einem Irrtum aufgesessen war, sie küsste mich auf die Wange und so gingen wir auseinander.

18
    Mein Vater blickte auf, als ich an sein Bett trat, dann schloss er aber gleich wieder die Augen. Er trug einen neuen Pyjama, war frisch rasiert und gekämmt, die Gesichtshaut voller rosiger Flecken. Seine Hände lagen auf dem glattgestrichenen Laken, mit einem leichten Zittern, das sofort verschwand, als ich sie berührte. Man hatte die Kanüle gewechselt, von der linken Hand auf die rechte, die Einstichstelle auf der freien Hand war rot und geschwollen.
    „Vater“, sagte ich und fragte ihn, ob er Schmerzen habe.
    „Bestimmt nicht“, antwortete Vaters Bettnachbar an seiner Stelle, „er kriegt ja genügend Morphium.“
    Im ersten Bett hinter der Tür lag ein vielleicht sechzigjähriger Berliner mit gelblich eingefallenem Gesicht, der sich selbst noch einen Monat gab. Bauchspeichel, sagte er, da kannste nichts machen. Er hatte beschlossen, seine letzte Zeit in der Klinik zu verbringen, weil er hier am meisten Gesellschaft habe. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, auf meinen Vater aufzupassen, und klingelte an dessen Stelle nach den Pflegekräften oder Ärzten, wenn er glaubte, dass sie eingreifen mussten.
    Vater hielt die Augen geschlossen, aber wenn er meine Stimme hörte, öffnete er sie einen schmalen Spalt. Ich war mir sicher, dass er verstand, was ich sagte, aber es fehlte ihm die Kraft, zu antworten. Nur wenn Angelina mitkam und mit ihm sprach, dann versuchte er mit aller Kraft, Worte zu formen und über seine Lippen zu drücken. Sein gerötetes Gesicht wurde noch einen Ton dunkler dabei und er riss verzweifelt die Augen auf, weil er merkte, dass ihm sein Kehlkopf und seine Stimmbänder nicht mehr gehorchten. Angelina aber tat so, als habe sie alles verstanden, was er ihr mitteilen wollte, ja, sagte sie, ganz genau, Papa, und Vater sank in sein Kissen zurück wie tot, aber mit einem Zucken um seine Mundwinkel, das wie der Ansatz eines Lächelns aussah.
    Gregor war nie dabei, wenn Angelina Vater besuchte, er hatte so viel zu tun, jetzt, wo sich nach dem Rücktritt des Bürgermeisters für ihn der Weg nach oben geöffnet hatte. Er taumelte zwischen Spreefahrten, Empfängen und langen Telefonkonferenzen hin und her, versuchte unentwegt, seinen süddeutschen Akzent dem seiner Gastgeber anzugleichen, und hatte für anderes keine Zeit. Er ließ auch die Delegation ohne ihn zurückfliegen, weil er noch so viel zu erledigen hatte.
    Er ist unabkömmlich, sagte Angelina, wenn ich sie nach Gregor fragte, und wir wussten beide, was sie damit meinte. Er hatte die Nachricht von Vaters Präsenz in dieser Stadt unkommentiert hingenommen, hatte einfach weggehört, als Angelina ihm schonend beibringen wollte, dass er am Ende vielleicht doch recht gehabt hatte, Gregor tat so, als habe er ihre Worte einfach nicht gehört. Er redete von der Achse zwischen Berlin und unserer Heimatstadt, von der Verbindung, die hier im Entstehen war und die vor allem für den Tourismus von ungeahnter Bedeutung wäre, und ließ das Wort Vater nicht über die Schwelle zu seinem Bewusstsein. Ich kannte sonst niemanden, der so sein Hirn verriegeln konnte, so endgültig, so definitiv. Und es schien nicht so, als ob er die unliebsamen Dinge einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollte; er kannte sie tatsächlich nicht.
    Angelina ließ ihn gewähren, sprach mit ihm die Zeitpläne für den jeweiligen Tag ab und an Vaters Krankenbett erklärte sie mir flüsternd, wie glücklich sie sei, Vater und mich zu haben.
    „Du lügst schon wieder“, sagte ich, und wenn wir das Krankenhaus verließen, setzten wir uns manchmal noch in eines der Straßencafés, tranken Cognac aus kleinen, geschliffenen Gläsern und stritten darüber, in welche Richtung die Spree flösse. Wir lachten und redeten, bis Gregor anrief und mitteilte, dass er todmüde sei und im Foyer des Hotels auf Angelina warte.
    Dann plötzlich war Vater allein. Man hatte ihn weiter nach hinten verlegt, in ein Zimmer, wo nur ein einziges Bett stand und man vom Fenster aus die Skyline von Berlin sehen konnte. Und darüber das weite weißliche Blau des Himmels, an dem manchmal Wolken klebten, wie zur Dekoration.
    Der letzte Akt, sagte eine der Schwestern, als wir sie nach dem Grund
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