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Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max

Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max

Titel: Berlin Gothic 5: Nachts Bei Max
Autoren: Jonas Winner
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    „Ich bin doch gekommen“, murmelt er, obwohl er nur zu gut weiß, dass es nicht das ist, was sie meint.
    „Zur Beerdigung, ja“, hört er sie sagen.
    Sein Blick folgt den seltsam luftigen Flusen der Staubwolke, von denen er jetzt, wo er genauer hinsieht, doch bemerkt, dass sie sich langsam immer weiter auseinanderziehen.
    „Was ist nur los in der Stadt?“ Lisa tritt einen Schritt nach vorn und stellt sich neben ihn an das Fenster. Er kann ihre Gegenwart förmlich spüren, als wäre ihre unmittelbare Umgebung gleichsam elektrisch aufgeladen.
    „Ich habe oft gehofft, dass du dich melden würdest.“ Ihre Stimme klingt für ihn noch immer so wie das erste Mal, als er sie gehört hat, in der Küche ihrer Eltern, im Haus der Bentheims, als Julia ihn nach dem Unfall dorthin gefahren hatte.
    „Begreifst du denn nicht“, jetzt hat sie sich ihm zugewandt, er sieht, wie ihre Hand sich seinem Arm nähert, sich darauf legt, wie ihre feinen Lippen sich teilen, ein winziger Spalt offen bleibt, bevor sie sich wieder schließen und sie weiter spricht, „dass wir hätten reden müssen, Till, dass nichts feststeht, dass wir zwei Jahre haben verstreichen lassen, in denen ich keinen Schritt vorangekommen bin.“
    Gequält schaut er auf ihr Gesicht herab, zwingt sich, den Drang herunterzukämpfen, ihr über die Wange zu streichen. „Es wäre unerträglich gewesen, Lisa, es wäre nicht gegangen - nichts wäre gegangen - wir konnten - ich durfte - ich durfte dich nicht mehr sehen.“
    Es ist nicht wegen Felix, dass ich mich nicht mehr bei dir gemeldet habe …
    „WARUM, Till?! Warum durftest du mich nicht mehr sehen?“
    Sie weiß noch immer nicht alles …
    „Glaubst du zu wissen, was ich denke, was ich fühle, was ich will? Wie kannst du Entscheidungen treffen, die uns beide vielleicht mehr angehen als alles andere - ohne mit mir darüber zu sprechen? Spürst du denn nicht, wie falsch das alles ist? Wie falsch es ist, dass wir uns zwei Jahre lang nicht gesehen haben?“
    Ja, er spürt es.
    „Nichts ist einfach, natürlich nicht! Aber jetzt, wo du hier bist … “ Sie beendet den Satz nicht.
    „Ja?“ Seine Stimme ist vorsichtig - aber er kann nicht anders, er will - muss wissen, was sie sagen wollte.
    „ … endlich bist du da.“ Ihre Hand vergräbt sich zwischen seinem Arm und seinem Bauch, vor dem er ihn angewinkelt hält.
    Tills Blick ruht auf ihrem Scheitel, wandert an ihrem Ohr herab bis auf ihren Hals, den Ansatz ihrer Schulter, die unter der Bluse hervorsieht. Es kommt ihm so vor, als könnte sie den Blick regelrecht auf ihrer Haut fühlen - wie eine kühle Messerspitze, die darauf entlang gleitet.
    „Siehst du die Wolke - dort neben dem Turm?“
    Till drückt ihre Hand enger an seinen Bauch. Es ist ihm wie ein Gesetz vorgekommen, dass er jeden Gedanken an Lisa hat unterdrücken müssen, verbannen, verprügeln wie einen Hund …
    „Wir haben nicht mehr viel Zeit, Till“, hört er sie neben sich sagen - und weiß, dass sie recht hat.
    Behutsam legt sich seine Linke, die noch frei ist, auf ihren Hals. Vorsichtig wendet sich ihr Gesicht seinem zu, sie biegt den Kopf in den Nacken, die Augen nur noch ein wenig geöffnet, die Lippen unendlich zart vor ihm. Leise kann er hören, wie ihr Atem darüber hinweg entweicht. Dann hat er sie ganz umschlungen, zieht ihren Körper, der sich seinem hingibt, zu sich heran, ein wenig empor … während sein Gesicht sich ihrem nähert und die Berührung ihrer Haut, der Druck ihres Leibes, den er überall spürt, ihn ganz gefangen nehmen. Ihre Augen schließen sich und ihr Mund ist bereit, ihn zu empfangen -
    „WAS?!“
    zu empfangen ---
    „LISA!?“
    Ihr Blick blitzt auf.
    „HEY!!“
    Ihre Hand drückt gegen Tills Brust.
    Sein Kopf kommt hoch - in einer Bewegung, als müsste er sich durch Treibsand hindurchkämpfen.
    Es ist Felix - der eben ins Zimmer tritt.
    Er muss bereits vom Flur aus gerufen haben.
    Seine Augen strahlen, als sie Tills Blick treffen - längst hat sich Lisa von Till gelöst. Ihr Haar scheint noch ein wenig verwirrt, aber sie berühren einander nicht mehr.
    „Till! Schön, dass du bereits da bist!“ Schnarrend kommt Felix auf sie zu. Hat er gesehen, wie sie einander umschlungen hatten?
    „Hast du ihm etwas zu trinken angeboten?“ Felix schaut zu Lisa, von der Till jetzt nur noch das Profil sieht.
    „Ich war gerade dabei“, kommt es ihr über die Lippen, dann blickt sie zu Till, die Augen vielleicht schöner, als er sie jemals empfunden hat.
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