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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch
Autoren: Murat Topal
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wäre zumindest ein Totschlag aus Notwehr nicht auszuschließen.
    Ich rufe ihn auf seinem Handy an – nichts. Das Handy ist ausgeschaltet. Oder ist aufgrund seines hohen Alters ebenfalls verschieden.
    Nachdem ich vergeblich den kompletten Friedhof abgesucht, hinter jeden Grabstein geblickt und das Restaurant des Brecht-Hauses durchgescannt habe – inklusive Herren- und Damentoilette –, fahre ich besorgt nach Hause.
    Als ich die Haustür aufmache, kommt mir meine Ehefrau schon strahlend entgegen.
    »Das hast du gut gemacht, Schatz.« Sie umarmt und küsst mich.
    Natürlich finde ich es generell toll, wenn meine Liebste mich lobt, umarmt und küsst. Aber ich wüsste dann doch gerne, was ich denn gut gemacht habe.
    »Na, das mit Karl.«
    »Karl? Wo ist er denn?«
    »Du hast ihn gerade verpasst. Er hat seine Sachen gepackt und ist gegangen. Er lässt dich herzlich grüßen, hatte aber keine Zeit mehr, auf dich zu warten.«
    »Keine Zeit mehr, auf mich zu warten? Diese Fleisch und Blut gewordene Klette? Bist du sicher, dass du mit dem echten Karl gesprochen hast?«
    »Dumme Frage. Aber er braucht dich wohl nicht mehr. Er hat jetzt Isolde.«
    »Isolde?« Das Ganze wird ja immer mysteriöser.
    »Isolde. Aus Waiblingen. Mitte 20. Angehende Friedhofsgärtnerin.«
    »Ich verstehe nur Friedhof.«
    »Genau. Sie haben sich auf dem Friedhof getroffen, wo sie irgendwelche Studien für ihre Friedhofsgärtnerinnen-Prüfung betreiben musste.«
    »Hä? Ist hier irgendwo eine versteckte Kamera?«
    »Quatsch. Die beiden haben geredet und Karl hat sich wohl sofort in sie verliebt. Aber jetzt kommt das wirklich Seltsame.«
    »Bisher finde ich die ganze Geschichte schon ausreichend seltsam.«
    »Wart’s ab. Sie hat sich nämlich auch in ihn verliebt.«
    Oh weh. Zwei Nekrophile unter sich.
    Ich folge meiner Frau in die Küche, wo noch Karls monströse Koffeintanke steht. Unbenutzt. Nach dem ersten, damals von mir unterbundenen Test, hatte er irgendwie den Spaß an seinem Schnäppchen verloren.
    »Danke übrigens für das schöne Hochzeitsgeschenk.«
    Verdammt, ich wusste, heute war irgendein besonderer Tag. Dass ich es aber auch nie schaffe, an diesen elendigen Hochzeitstag zu denken. Aber wieso ›Danke für das Geschenk‹? Ist das jetzt bitterer Sarkasmus? Oder was?
    »Tut mir leid«, stammele ich kläglich vor mich hin.
    »Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Karl hat mir erklärt, dass du kein sicheres Versteck für das Riesending hattest und er deshalb so tun sollte, als ob das seine Anschaffung wäre. Das ist doch ein süßer Trick von dir gewesen. Und noch ein süßeres Geschenk. Du bist wirklich der aufmerksamste Ehemann von allen.«
    Na gut, wenn sie meint. Dann wird es wohl so sein. Karl, der alte Schlawiner. Ist ja alles in allem doch nicht komplett verkehrt, der Kerl. Ich setze mich erleichtert an den Küchentisch, während meine frisch verliebte Gattin mir eine Fassbrause einschenkt.
    »Er ist also tatsächlich gegangen, ohne sich zu verabschieden?«
    »Na ja, Isolde hatte ein Ticket mit Zugbindung. Das konnte sie als Schwäbin natürlich nicht verfallen lassen. Das kann ich absolut nachvollziehen. Und da er Angst hatte, dass sie womöglich im Zug jemand anderen kennenlernt, hat Karl in Rekordzeit seine Klamotten zusammengepackt und ist gleich mitgefahren. Hätte nicht gedacht, dass er derartig eifersüchtig sein kann.«
    Ich schaue meine Frau verblüfft an. Wie wenig Menschenkenntnis die Damenwelt doch manchmal hat. Jemand besitzergreifenderen als Karl kann man sich doch kaum vorstellen. Dann gehe ich nachdenklich in unser Gästezimmer, welches so viele Wochen zwangsokkupiert war.
    Wenn ich bedenke, wie ruck, zuck es mit Büchern und Broschüren vollgestopft war. Und mit Klamotten. Und vor allem mit diesem Ausbund an Breite.
    Jetzt ist es ganz leer – bis auf zwei Bücherkisten, die verloren in der Ecke stehen.
    »Die sollen wir ihm nachschicken«, flüstert mir die zärtlichste Ehefrau von allen ins Ohr, die mir leise gefolgt ist. Und mir außerdem noch zuflüstert: »Jetzt haben wir endlich wieder Zeit für uns.«
    Da hat sie recht, und das ist wunderbar. Und dass ich das schreibe, hat nichts damit zu tun, dass meine Frau gerade neben mir steht – ehrlich.
    Glücklich, wie ich in diesem Moment bin, muss ich an das Lied einer echten Berliner Pflanze denken. Katja Ebstein, die einst so treffend sang:

    Wunder gibt es immer wieder,
    heute oder morgen
    können sie geschehen.
    Wunder gibt es immer wieder,
    wenn sie dir
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