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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Menschen, und es kann sein, wer es will.« Der Rote betrübt: »Was soll man sagen.« »Ja, sind wir denn nichts, weil wir mal was getan haben? Es können alle wieder auf die Beene kommen, die gesessen haben, und die können gemacht haben, wat sie wollen.« (Was bereuen! Luft muß man sich machen! Drauflosschlagen! Dann liegt alles hinter einem, dann ist alles vorbei, Angst und alles.) »Ich wollt Euch bloß zaigen: Ihr sollt nicht hören auf alles, was Aich mein Schwager erzählt. Man kann manchmal nicht alles, was man möchte, es geht manchmal auch anders.« »Das ist keene Gerechtigkeit, einen auf den Mist zu schmeißen wie einen Köter und schütten noch Müll rauf, und das ist die Gerechtigkeit gegen eenen toten Mann. Pfui Deibel. Jetzt will ich mir aber verabschieden von Sie. Geben Sie mir Ihre Flosse. Sie meinen es gut und Sie auch (er drückte dem Roten die Hand). Ick heeße Biberkopf, Franz. War schön von Ihnen, daß Sie mir uffgenommen haben. Mein Piepmatz hat schon gesungen auf dem Hof. Na, prost Neumann, et jeht vorüber.« Die beiden Juden schüttelten ihm die Hände, lächelten. Der Rote hielt seine Hand lange fest, strahlte: »Nun, ist Euch wirklich gut. Und wird mich freuen, wenn Ihr Zeit habt, kommt mal vorbei.« »Dank schön, wird bestens besorgt, Zeit wird sich schon finden, bloß keen Geld. Und grüßen Sie auch den alten Herrn von vorhin. Der hat Ihnen Kraft in de Hand, sagen Se mal, der war wohl früher Schlächter. Au, wollen noch rasch den Teppich in Ordnung bringen, ist ja ganz verrutscht. Aber nein, machen wir alles selbst, und der Tisch, so.« Er arbeitete am Boden, lachte den Roten von hinten an: »Haben wir unten gesessen und uns was erzählt. Ne feine Sitzgelegenheit, entschuldigen Se man.«
    Sie begleiteten ihn zur Tür, der Rote blieb besorgt: »Werdet Ihr auch allein gehen können?« Der Braune stieß ihn in die Seite: »Red ihm doch nicht nach.« Der Strafentlassene, aufrecht wandernd, schüttelte den Kopf, schob Luft mit beiden Armen von sich weg (Luft muß man sich machen, Luft, Luft und weiter nischt): »Machen Se sich keene Sorgen. Mir können Se ruhig laufen lassen. Sie haben doch erzählt von die Füße und die Augen. Ick habe die noch. Mir hat die keener abgehauen. Morgen, die Herren.«
    Und über den engen, verstellten Hof ging er, die beiden blickten von der Treppe hinter ihm her. Er hatte den steifen Hut im Gesicht, murmelte, wie er über eine Benzinpfütze trat: »Olles Giftzeug. Mal n Kognak. Wer ankommt, kriegt eins in die Fresse. Mal sehn, wos nen Kognak gibt.«

Tendenz lustlos, später starke Kursrückgänge,
Hamburg verstimmt, London schwächer
    Es regnete. Links in der Münzstraße blinkten Schilder, die Kinos waren. An der Ecke kam er nicht durch, die Menschen standen an einem Zaun, da ging es tief runter, die Schienen der Elektrischen liefen auf Bohlen frei in der Luft, eben fuhr langsam eine Elektrische rüber. Sieh mal an, die bauen Untergrundbahn, muß doch Arbeit geben in Berlin. Da war noch ein Kino. Jugendlichen unter 17 Jahren ist der Eintritt verboten. Auf dem Riesenplakat stand knallrot ein Herr auf einer Treppe, und ein duftes junges Mädchen umfaßte seine Beine, sie lag auf der Treppe, und er schnitt oben ein kesses Gesicht. Darunter stand: Elternlos, Schicksal eines Waisenkindes in 6 Akten. Jawoll, das seh ich mir an. Das Orchestrion paukte. Eintritt 60 Pfennig.
    Ein Mann zu der Kassiererin: »Fräulein, ists nicht billiger für einen alten Landsturm ohne Bauch?« »Nee, nur für Kinder unter fünf Monaten, mit nem Lutschpfropfen.« »Gemacht. So alt sind wir. Neujeborene auf Stottern.« »Na, also fuffzig, mal rin.« Hinter dem schlängelte sich ein Junger, Schlanker mit Halstuch an: »Frollein, ich möchte rin, aber nich zahlen.« »Wie is mich denn. Laß dich von deine Mutti aufs Töppchen setzen.« »Na, darf ich rin?« »Wo?« »Ins Kino.« »Hier is keen Kino.« »Nanu, is hier keen Kino.« Sie rief durchs Kassenfenster zum Aufpasser an der Tür: »Maxe, komm mal her. Da möcht einer wissen, ob hier Kino ist. Geld hat er keins. Zeig ihm mal, was hier ist.« »Wat hier ist, junger Mann? Hamse das noch nicht bemerkt? Hier ist die Armenkasse, Abteilung Münzstraße.« Er schob den Schlanken von der Kasse, zeigte ihm die Faust: »Wennste willst, zahl ich dir jleich aus.«
    Franz schob rin. Es war grade Pause. Der lange Raum war knüppeldick voll, 90 Prozent Männer in Mützen, die nehmen sie nicht ab. Drei Lampen an der Decke sind rot verhängt.
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