Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
Vom Netzwerk:
Freien, beim Unterricht, Gottesdienst mit andern zusammengebracht. Die Wagen tobten und klingelten weiter, es rann Häuserfront neben Häuserfront ohne Aufhören hin. Und Dächer waren auf den Häusern, die schwebten auf den Häusern, seine Augen irrten nach oben: wenn die Dächer nur nicht abrutschten, aber die Häuser standen grade. Wo soll ick armer Deibel hin, er latschte an der Häuserwand lang, es nahm kein Ende damit. Ich bin ein ganz großer Dussel, man wird sich hier doch noch durchschlängeln können, fünf Minuten, zehn Minuten, dann trinkt man einen Kognak und setzt sich. Auf entsprechendes Glockenzeichen ist sofort mit der Arbeit zu beginnen. Sie darf nur unterbrochen werden in der zum Essen, Spaziergang, Unterricht bestimmten Zeit. Beim Spaziergang haben die Gefangenen die Arme ausgestreckt zu halten und sie vor- und rückwärts zu bewegen.
    Da war ein Haus, er nahm den Blick weg von dem Pflaster, eine Haustür stieß er auf, und aus seiner Brust kam ein trauriges brummendes oh, oh. Er schlug die Arme umeinander, so mein Junge, hier frierst du nicht. Die Hoftür öffnete sich, einer schlürfte an ihm vorbei, stellte sich hinter ihn. Er ächzte jetzt, ihm tat wohl zu ächzen. Er hatte in der ersten Einzelhaft immer so geächzt und sich gefreut, daß er seine Stimme hörte, da hat man was, es ist noch nicht alles vorbei. Das taten viele in den Zellen, einige am Anfang, andere später, wenn sie sich einsam fühlten. Dann fingen sie damit an, das war noch was Menschliches, es tröstete sie. So stand der Mann in dem Hausflur, hörte das schreckliche Lärmen von der Straße nicht, die irrsinnigen Häuser waren nicht da. Mit gespitztem Munde grunzte er und ermutigte sich, die Hände in den Taschen geballt. Seine Schultern im gelben Sommermantel waren zusammengezogen zur Abwehr.
    Ein Fremder hatte sich neben den entlassenen Sträfling gestellt, sah ihm zu. Er fragte: »Ist Euch was, ist Euch nicht gut, habt Ihr Schmerzen?«, bis der ihn bemerkte, sofort mit dem Grunzen aufhörte. »Ist Euch schlecht, wohnt Ihr hier im Haus?« Es war ein Jude mit rotem Vollbart, ein kleiner Mann im Mantel, einen schwarzen Velourshut auf, einen Stock in der Hand. »Ne, hier wohn ich nich.« Er mußte aus dem Flur, der Flur war schon gut gewesen. Und nun fing die Straße wieder an, die Häuserfronten, die Schaufenster, die eiligen Figuren mit Hosen oder hellen Strümpfen, alle so rasch, so fix, jeden Augenblick eine andere. Und da er entschlossen war, trat er wieder in einen Hausflur, wo man aber die Tore aufriß, um einen Wagen durchzulassen. Dann rasch ins Nachbarhaus in einen engen Flur neben dem Treppenaufgang. Hier konnte kein Wagen kommen. Er hielt den Geländerpfosten fest. Und während er ihn hielt, wußte er, er wollte sich der Strafe entziehen (o Franz, was willst du tun, du wirst es nicht können), bestimmt würde er es tun, er wußte schon, wo ein Ausweg war. Und leise fing er wieder seine Musik an, das Grunzen und Brummen, und ich geh nich wieder auf die Straße. Der rote Jude trat wieder in das Haus, entdeckte den andern am Geländer zuerst nicht. Er hörte ihn summen. »Nun sagt, was macht Ihr hier? Ist Euch nicht gut?« Er machte sich vom Pfosten los, ging nach dem Hof zu. Wie er den Torflügel anfaßte, sah er, es war der Jude von dem andern Haus. »Gehn Sie doch los! Was wolln Sie denn von einem?« »Nun nun, nichts. Ihr ächzt und stöhnt so, wird man doch fragen können, wie Euch ist.« Und durch den Türspalt drüben schon wieder die ollen Häuser, die wimmelnden Menschen, die rutschenden Dächer. Der Strafentlassene zog die Hoftür auf, der Jude hinter ihm: »Nun nun, was soll geschehn, wird doch nicht so schlimm sein. Man wird schon nicht verkommen. Berlin ist groß. Wo tausend leben, wird noch einer leben.«
    Ein hoher finsterer Hof war da. Neben dem Müllkasten stand er. Und plötzlich sang er schallend los, sang die Wände an. Den Hut nahm er vom Kopf wie ein Leierkastenmann. Von den Wänden kam der Ton wieder. Das war gut. Seine Stimme erfüllte seine Ohren. Er sang mit so lauter Stimme, wie er im Gefängnis nie hätte singen dürfen. Und was er sang, daß es von den Wänden widertönte? »Es braust ein Ruf wie Donnerhall.« Kriegerisch fest und markig. Und dann: »Juvivallerallera« mitten aus einem Lied. Es beachtete ihn keiner. Der Jude nahm ihn am Tor in Empfang: »Ihr habt schön gesungen. Ihr habt wirklich schön gesungen. Ihr könntet Gold mit einer Stimme verdienen, wie Ihr habt.« Der Jude
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher