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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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folgte ihm auf der Straße, nahm ihn beim Arm, zog ihn unter unendlichem Gespräch weiter, bis sie in die Gormannstraße einbogen, der Jude und der starkknochige, große Kerl im Sommermantel, der den Mund zusammenpreßte, als wenn er Galle spucken müßte.

Noch immer nicht da
    In eine Stube führte er ihn, wo ein Eisenofen brannte, setzte ihn auf das Sofa: »Nun, da seid Ihr. Setzt Euch nur ruhig hin. Könnt den Hut aufbehalten oder hinlegen, wie Ihr wollt. Ich will nur jemand holen, der Euch gefallen wird. Ich wohne nämlich selbst nicht hier. Bin nur Gast hier wie Ihr. Nun, wie es ist, ein Gast bringt den andern, wenn die Stube nur warm ist.«
    Der Entlassene saß allein. Es braust ein Ruf wie Donnerhall, wie Schwertgeklirr und Wogenprall. Er fuhr mit der Elektrischen, blickte seitlich hinaus, die roten Mauern waren sichtbar zwischen den Bäumen, es regnete buntes Laub. Die Mauern standen vor seinen Augen, sie betrachtete er auf dem Sofa, betrachtete sie unentwegt. Es ist ein großes Glück, in diesen Mauern zu wohnen, man weiß, wie der Tag anfängt und wie er weiter geht. (Franz, du möchtest dich doch nicht verstecken, du hast dich schon die vier Jahre versteckt, habe Mut, blick um dich, einmal hat das Verstecken doch ein Ende.) Alles Singen, Pfeifen, Lärmen ist verboten. Die Gefangenen müssen sich des Morgens auf das Zeichen zum Aufstehen sofort erheben, das Lager ordnen, sich waschen, kämmen, die Kleider reinigen und sich ankleiden. Seife ist in ausreichender Menge zu verabreichen. Bum, ein Glockenschlag, Aufstehen, bum fünf Uhr dreißig, bum sechs Uhr dreißig, Aufschluß, bum bum, es geht raus, Morgenkostempfang, Arbeitszeit, Freistunde, bum bum bum Mittag, Junge, nicht das Maul schief ziehen, gemästet wirst du hier nicht, die Sänger haben sich zu melden, Antreten der Sänger fünf Uhr vierzig, ich melde mir heiser, sechs Uhr Einschluß, guten Abend, wir habens geschafft. Ein großes Glück, in diesen Mauern zu wohnen, mir haben sie in den Dreck gefahren, ich hab schon fast gemordet, war aber bloß Totschlag, Körperverletzung mit tödlichem Ausgang, war nicht so schlimm, ein großer Schuft war ich geworden, ein Schubiack, fehlt nicht viel zum Penner.
    Ein großer, alter, langhaariger Jude, schwarzes Käppchen auf dem Hinterkopf, saß ihm schon lange gegenüber. In der Stadt Susan lebte einmal ein Mann namens Mordechai, der erzog die Esther, die Tochter seines Oheims, das Mädchen aber war schön von Gestalt und schön von Ansehn. Der Alte nahm die Augen von dem Mann weg, drehte den Kopf zurück zu dem Roten: »Wo habt Ihr den her?« »Er ist von Haus zu Haus geloffen. Auf einen Hof hat er sich gestellt und hat gesungen.« »Gesungen?« »Kriegslieder.« »Er wird frieren.« »Vielleicht.« Der Alte betrachtete ihn. Mit einem Leichnam sollen sich am ersten Festtag nicht Juden befassen, am zweiten Festtag auch Israeliten, das gilt sogar von beiden Neujahrstagen. Und wer ist der Autor folgender Lehre der Rabbanan: Wenn jemand vom Aas eines reinen Vogels ißt, ist er nicht unrein; wenn aber vom Darm oder vom Kropf, so ist er unrein? Mit seiner langen gelben Hand tastete der Alte nach der Hand des Entlassenen, die auf dem Mantel lag: »Ihr, wollt Ihr Euch den Mantel ausziehen? Es ist heiß hier. Wir sind alte Leute, wir frieren im ganzen Jahr, für Euch wirds zuviel sein.«
    Er saß auf dem Sofa, er schielte auf seine Hand herunter, er war von Hof zu Hof gegangen durch die Straßen, man mußte sehen, wo sich etwas findet in der Welt. Und er wollte aufstehen, zur Tür hinausgehen, seine Augen suchten in dem dunklen Raum nach der Tür. Da drückte ihn der Alte auf das Sofa zurück: »Nun bleibt doch, was wollt Ihr denn.« Er wollte hinaus. Der Alte hielt ihn aber am Handgelenk und drückte, drückte: »Wollen doch sehen, wer stärker ist, Ihr oder ich. Wollt Ihr sitzenbleiben, wenn ich sage.« Der Alte schrie: »Nun, Ihr werdet schon sitzenbleiben. Ihr werdet schon hören, was ich sage, junges Blut. Nehmt Euch zusammen, Bösewicht.« Und zu dem Roten, der den Mann bei den Schultern griff: »Geht Ihr weg, weg hier. Hab ich Euch gerufen. Ich werd schon mit ihm fertig werden.«
    Was wollten diese Leute von ihm. Er wollte hinaus, er drängte hoch, aber der Alte drückte nieder. Da schrie er: »Was macht Ihr mit mir?« »Schimpft nur, werdet schon noch mehr schimpfen.« »Ihr sollt mich loslassen. Ich muß raus.« »Vielleicht auf die Straße, vielleicht auf die Höfe?«
    Da stand der Alte vom Stuhl auf, ging
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