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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Fraiden. Wer also war Zannowich, wer war sein Vater, wer waren seine Eltern? Bettler, wie die meisten von uns, Krämer, Händler, Geschäftemacher. Aus Albanien kam der alte Zannowich und ist nach Venedig gegangen. Er wußte schon, warum er nach Venedig ging. Die einen gehen von der Stadt aufs Land, die andern vom Land in die Stadt. Auf dem Land ist mehr Ruhe, die Leute drehen jedes Ding herum und herum, Ihr könnt reden stundenlang, und wenn Ihr Glück habt, habt Ihr ein paar Pfennige verdient. In der Stadt nun, es ist auch schwer, aber die Menschen stehen dichter beieinander, und sie haben keine Zeit. Ist es nicht der eine, ist es der andere. Man hat ka Ochsen, man hat rasche Pferde mit Kutschen. Man verliert und man gewinnt. Das hat der alte Zannowich gewußt. Hat erst verkauft, was er bei sich hatte, und dann hat er Karten genommen und hat gespielt mit de Leut. Er war kein ehrlicher Mann. Er hat ä Geschäft daraus gemacht, daß die Leute in der Stadt keine Zeit haben und unterhalten sein wollen. Er hat sie unterhalten. Es hat sie schweres Geld gekostet. Ein Betrüger, ein Falschspieler der alte Zannowich, aber einen Kopf hat er gehabt. Die Bauern hattens ihm schwer gemacht, hier lebte er leichter. Es ist ihm gut gegangen. Bis einer plötzlich meinte, es ist ihm unrecht geschehen. Nu, daran hatte der alte Zannowich grade nicht gedacht. Es gab Schläge, die Polizei, und zuletzt hat der alte Zannowich mit seinen Kindern lange Beine machen müssen. Das Gericht von Venedig war hinter ihm her, mit dem Gericht, dachte der alte Mann, wollte er sich lieber nicht unterhalten, sie verstehen mich nicht, sie haben ihn auch nicht fassen können. Er hatte Pferde und Geld bei sich und hat sich wieder in Albanien hingesetzt und hat sich ein Gut gekauft, ein ganzes Dorf, und seine Kinder hat er in hohe Schulen geschickt. Und wie er ganz alt war, ist er ruhig und geachtet gestorben. Das war das Leben des alten Zannowich. Die Bauern haben um ihn geweint, er aber hat sie nicht leiden mögen, weil er immer an die Zeit dachte, wo er vor ihnen stand mit seinem Tand, Ringe, Armbänder, Korallenketten, und sie haben sie hin und her gedreht und befühlt, und zuletzt sind sie weggegangen und haben ihn stehen gelassen.
    Wißt Ihr, wenn der Vater ä Pflänzchen ist, so möcht er, der Sohn soll ä Baum sein. Wenn der Vater ä Stein ist, soll der Sohn ä Berg sein. Der alte Zannowich hat seinen Söhnen gesagt: Ich bin hier in Albanien nichts gewesen, solange ich hausierte, zwanzig Jahre lang, und warum nicht? Weil ich meinen Kopf nicht dahin trug, wo er hingehörte. Ich schick euch auf die große Schule, nach Padua, nehmt Pferde und Wagen, und wenn ihr ausstudiert habt, denkt an mich, der Kummer hatte zusammen mit eurer Mutter und mit euch und der nachts mit euch im Wald schlief wie ein Eber: ich war selbst schuld dran. Die Bauern hatten mich ausgetrocknet wie ein schlechtes Jahr, und ich wär verdorben, ich bin unter die Menschen gegangen, und da bin ich nicht umgekommen.«
    Der Rote lachte für sich, wiegte den Kopf, schaukelte den Rumpf. Sie saßen am Boden auf dem Teppich: »Wenn jetzt einer hereinkommt, möchte er uns beide für meschugge halten, man hat ein Sofa und setzt sich davor auf die Erde. Nu, wie einer will, warum nicht, wenns einem nur gefällt. Der junge Zannowich Stefan war ein großer Redner schon als junger Mensch mit zwanzig Jahren. Er konnte sich drehen, sich beliebt machen, er konnte zärteln mit de Frauen und vornehm tun mit de Männer. In Padua lernen die Adligen von de Professoren, Stefan lernte von de Adligen. Sie waren ihm alle gut. Und wie er nach Hause kam nach Albanien, sein Vater lebte noch, freute der sich über ihn und hatte ihn auch gern und sagte: ›Seht euch den an, das ist ein Mann für die Welt, er wird nicht zwanzick Jahr wie ich mit den Bauern handeln, er ist seinem Vater um zwanzick Jahr voraus.‹ Und das Jüngelchen strich sich seine Seidenärmel, hob sich die schönen Locken von de Stirn und küßte seinen alten glücklichen Vater: ›Aber Ihr, Vater, habt mir die schlimmen zwanzick Jahre erspart.‹ ›Die besten von deinem Leben sollens sein‹, meinte der Alte und streichelte und hätschelte sein Jüngelchen.
    Und da ist es dem jungen Zannowich gegangen wie ein Wunder, und war doch kein Wunder. Es sind ihm überall die Menschen zugeflogen. Er hat zu allen Herzen den Schlüssel gehabt. Er ist nach Montenegro gegangen, zu einem Ausflug als Kavalier mit Kutschen und Pferden und Dienern, sein Vater
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