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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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klopfte an die Nebentür: »Frau Priese, ein paar Minuten sind Sie man ruhig, ich hab hier mit einem Herrn zu reden, Wichtiges.« So, nun haben wir es geschafft, lieb Vaterland, kannst ruhig sein, komm an mein Herz, aber du fliegst bald raus.
    Sie dachte, den Kopf auf dem Kissen: die gelben Halbschuhe können noch gut besohlt werden, Kittys neuer Bräutigam macht das für zwei Mark, wenn sie nichts dagegen hat, ich schnappe ihn ihr nicht weg, er kann sie mir auch braun färben zu der braunen Bluse, ist schon n oller Lappen, grade gut als Kaffeewärmer, da müssen die Bänder von aufgebügelt werden, ich werde Frau Priese gleich sagen, die wird ja noch Feuer haben, was kocht die eigentlich heute. Sie schnüffelte. Grüne Heringe.
    Durch seinen Kopf rollten Verse, im Kreis, nicht zu verstehen: Kochste Suppe, Fräulein Stein, krieg ich n Löffel, Fräulein Stein. Kochste Nudeln, Fräulein Stein, gib mir Nudeln, Fräulein Stein. Fall ich runter, fall ich rauf. Laut stöhnte er: »Du magst mich wohl nicht?« »Warum denn nich, komm her, immer fürn Sechser Liebe.« Er fiel ab ins Bett, grunzte, stöhnte. Sie rieb sich den Hals: »Ich lach mir schief. Bleib man ruhig liegen. Mir störste nich.« Sie lachte, hob ihre fetten Arme, steckte die Füße mit Strümpfen aus dem Bett: »Ick kann nischt dafür.«
    Raus auf die Straße! Luft! Regnet noch immer. Was ist nur los? Ich muß mir ne andre nehmen. Erst mal ausschlafen. Franz, wat ist denn mit dir los?
    Die sexuelle Potenz kommt zustande durch das Zusammenwirken 1. des innersekretorischen Systems, 2. des Nervensystems und 3. des Geschlechtsapparates. Die an der Potenz beteiligten Drüsen sind: Hirnanhang, Schilddrüse, Nebenniere, Vorsteherdrüse, Samenblase und Nebenhoden. In diesem System überwiegt die Keimdrüse. Durch den von ihr bereiteten Stoff wird der gesamte Sexualapparat von der Hirnrinde bis zum Genitale geladen. Der erotische Eindruck bringt die erotische Spannung der Hirnrinde zur Auslösung, der Strom wandert als erotische Erregung von der Hirnrinde zum Schaltzentrum im Zwischenhirn. Dann rollt die Erregung zum Rükkenmark hinab. Nicht ungehemmt, denn ehe sie das Gehirn verläßt, muß sie die Bremsfedern der Hemmungen passieren, jene vorwiegend seelischen Hemmungen, die als Moralbedenken, Mangel an Selbstvertrauen, Angst vor Blamage, Anstekkungs- und Schwängerungsfurcht und dergleichen mehr eine große Rolle spielen.
    Und abends die Elsasser Straße heruntergeschliddert. Nicht gefackelt, Jungeken, keine Müdigkeit vorschützen. »Was kost das Vergnügen, Fräulein?« Die Schwarze ist gut, hat Hüften, knuspriger Brezel. Wenn ein Mädchen einen Hörrn hat, den sie liebt und den sie görn hat. »Du bist so lustig, Süßer. Hast was geerbt?« »Na ob. Kriegst noch n Taler ab.« »Warum nicht.« Aber Angst hat er doch.
    Und nachher in der Stube, Blumen hinter der Gardine, sauberes Stübchen, niedliches Stübchen, hat das Mädchen sogar ein Grammophon, singt ihm vor, in Bembergs kunstseidnen Strümpfen, ohne Bluse, pechschwarze Augen: »Ich bin Stimmungssängerin, weißt du. Weißt du, wo? Wos mir grade paßt. Ich hab jetzt grade kein Engagement, weißt du. Ich geh in Lokale, wos schön ist, dann frag ich. Und dann: mein Schlager. Ich hab einen Schlager. Du, nicht kitzeln.« »Laß doch, Mensch.« »Nee, Hände weg, das versaut mir das Geschäft. Mein Schlager, sei lieb, Süßer, ich mache Auktion im Lokal, keine Tellersammlung: Wers dazu hat, kann mich küssen. Wahnsinnig, was. Im offnen Lokal. Keiner unter fuffzich Pfennig. Krieg ich, du, was nicht. Hier auf die Schulter. Da, kannst auch mal.« Sie setzt sich einen Herrenzylinder auf, kräht ihm ins Gesicht, wackelt die Hüften, die Arme eingestemmt: »Theodor, was hast du bloß dabei gedacht, als du gestern nacht mich hast angelacht? Theodor, was hast du bloß damit bezweckt, als du mich einludst zu Eisbein mit Sekt?«
    Wie sie ihm auf dem Schoße sitzt, steckt sie sich eine Zigarette in den Schnabel, die sie ihm flott aus der Weste zieht, blickt ihm treu in die Augen, reibt zärtlich die Ohrmuscheln an seine, flötet: »Weißt du, was das heißt, Heimweh? Wie das Herz zerreißt Heimweh? Alles rings umher ist so kalt und leer.« Sie trällert, streckt sich auf das Kanapee. Sie pafft, streichelt ihm die Haare, trällert, lacht.
    Der Schweiß auf seiner Stirn! Die Angst, wieder! Und plötzlich rutscht ihm der Kopf weg. Bumm, Glockenzeichen, Aufstehn, 5 Uhr 30, 6 Uhr Aufschluß, bumm bumm, rasch noch die Jacke
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