Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
auch, da gibts keine erste und zweite Klasse, bloß nur dritte, da sitzen alle schön auf Polstern, wenn sie nicht stehen, was auch vorkommt. Eigenmächtiges Aussteigen auf der Strecke bei Strafe bis 150 Mark untersagt; wird man sich schwer hüten, auszusteigen, riskiert man ja einen elektrischen Schlag. Bewunderung ein Schuh erregt, der ständig mit Ägü gepflegt. Schnelles Ein- und Aussteigen erbeten, bei Andrang in den Mittelgang treten.
Das sind alles schöne Sachen, die einem Menschen auf die Beine helfen können, selbst wenn er ein bißchen schwach ist, wenn nur das Herz gesund ist. Nicht an der Tür stehen bleiben. Na, und gesund ist ja Franz Karl Biberkopf, wären alle nur so taktfest wie er. Würde sich auch gar nicht lohnen, von einem Mann eine so lange Geschichte zu erzählen, wenn er nicht mal fest auf den Beinen steht. Und als ein fliegender Buchhändler eines Tages bei schauerlichem Regenwetter auf der Straße stand und über seine schlechten Einnahmen wetterte, trat Cäsar Flaischlen an den Bücherkarren. Er hörte sich das Gewettere ruhig an, dann klopfte er dem Mann auf beide nasse Schultern und sagte: »Laß das Gewettere, hab Sonne im Herzen«, so tröstete er ihn und verschwand. Dies war der Anlaß zu dem berühmten Sonnengedicht. Solche Sonne, eine andere freilich, hat auch Biberkopf in sich, und ein Gläschen Schnaps dazu und viel Malzextrakt in die Suppen gerührt, das bringt ihn langsam auf den Damm. Mit diesen Zeilen erlaube ich mir auch, Ihnen einen Anteil von einem ausgezeichneten Fuder 1925er Trabener Würzgarten anzubieten zum Vorzugspreise von Mark 90 für 50 Flaschen einschließlich Emballage ab hier, oder 1,60 Mark pro Flasche ohne Glas und Kiste, die ich zum berechneten Preis zurücknehme. Dijodyl bei Arteriosklerose. Biberkopf hat keine Arteriosklerose, er fühlt sich nur noch schwach, er hat ja unbändig gefastet in Buch, das ging bis dicht an den Hungertod, und da braucht es Zeit, bis sich einer auffüllt. Darum braucht er auch keinen Magnetopathen aufzusuchen, wohin ihn Eva schicken will, weil er ihr mal geholfen hat.
Und wie Eva nach einer Woche mal mit ihm auf Miezes Grab geht, bekommt sie gleich Stoff, sich zu wundern, und merkt, wie es ihm besser geht. Nichts von Weinen, bloß eine Handvoll Tulpen legt er hin, streichelt das Kreuz, und schon nimmt er Evan untern Arm und ab mit ihr.
Gegenüber sitzt er mit ihr in der Konditorei, ißt Bienenstich, Mieze zu Ehren, weil die davon nicht genug haben konnte, schmeckt wirklich ganz gut, aber zu berühmt auch nicht. Nun wären wir also bei unsere kleine Mieze gewesen, und zuviel soll man nich auf Kirchhöfe gehen, da erkält man sich, vielleicht nächstes Jahr wieder, wenn sie Geburtstag hat. Siehste, Eva, ich habs nicht nötig, kannst mir glauben, zu Mieze zu laufen, für mich ist die auch ohne Friedhof da, und Reinhold auch, ja Reinhold, den vergesse ich nich, und wenn mir auch der Arm wieder anwächst, den vergeß ich nich. Gibt schon Sachen, da muß man ein Haufen Klamotten sein und kein Mensch, wenn man die vergißt. So redet Biberkopf mit der Eva und ißt Bienenstich.
Seine Freundin wollte Eva früher werden, aber jetzt, jetzt will sie selbst nicht mehr. Die Sache mit Mieze und dann das Irrenhaus, das war ihr zu viel, so gut sie ihm ist. Und das Kleine, das sie von ihm erwartet hatte, ist auch nicht gekommen, sie hat gekippt, es wär so schön gewesen, es hat nicht sollen sein, aber schließlich ist es auch das beste und besonders, wo Herbert nicht da ist, und ihrem Gönner ist es auch zehnmal lieber, sie hat kein Kleines, denn schließlich ist es dem guten Mann klar geworden, das Kleine könnte auch von einem andern sein, kann man ihm nicht übelnehmen.
So sitzen sie ruhig nebeneinander und denken rückwärts und vorwärts, essen Bienenstich und einen Mohrenkopf mit Schlagsahne.
Und Schritt gefaßt und rechts und links
und rechts und links
Wir sehen den Mann noch bei dem Prozeß gegen Reinhold und den Klempner Matter, beziehungsweise Oskar Fischer, wegen Mord, beziehungsweise Begünstigung, an der Emilie Parsunke aus Bernau am 1.September 1928 in Freienwalde bei Berlin. Biberkopf ist nicht angeklagt. Der einarmige Mann erweckt allgemein Interesse, großes Aufsehen, Mord an seiner Geliebten, das Liebesleben in der Unterwelt, er war nach ihrem Tode geistig erkrankt, stand im Verdacht der Mittäterschaft, tragisches Schicksal.
In der Verhandlung sagt der einarmige Mann aus, der, wie die Gutachten sagen, jetzt wieder ganz
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