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Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)

Titel: Berlin Alexanderplatz: Die Geschichte von Franz Biberkopf (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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machen sollen, ich hätte nicht kämpfen sollen mit dem. Warum hab ick mir in den verbissen.
    »Komm doch, Franzeken, zeig doch, wer du bist, hast du Kraft?«
    Ich hätt nicht kämpfen sollen. Er triezt mir, er reizt mir noch immer, oh, das ist ein Verfluchter, ich hätt es nicht gesollt. Gegen den komm ich nicht auf, ich hätt es nicht gesollt.
    »Kraft mußte haben, Franzeken.«
    Ich hätte keine Kraft haben müssen, gegen den nicht. Ick seh es, es war ja falsch. Was hab ich alles gemacht. Weg, weg mit dem.
    Er geht nicht.
    Weg, weg mit –
    Franz brüllt, er ringt die Hände: Ich muß einen andern sehn, kommt kein anderer, warum bleibt der stehen?
    »Ich weeß es, mir magste nich, schmeck nicht schön. Kommt gleich ein anderer!«
    Herankommen lassen. Herankommen lassen. Die großen, flachen, stummen Ebenen, die einsamen Ziegelhäuser, aus denen rötliches Licht kommt. Die Städte, die an einer Strecke liegen, Frankfurt an der Oder, Guben, Sommerfeld, Liegnitz, Breslau, die Städte tauchen an den Bahnhöfen auf, die Städte mit ihren großen und kleinen Straßen. Herankommen lassen die fahrenden Droschken, die gleitenden, schießenden Autos.
    Und Reinhold geht, und dann steht er wieder und blitzt Franzen an: »Na, wer kann nu wat, wer hat gesiegt, Franzeken?«
    Und Franz zittert: Ick hab nicht gesiegt, ick weeß es.
    Herankommen lassen.
    Kommt gleich ein anderer.
    Und Franz sitzt höher, hat die Faust geballt.

    Es wird ein Brot in den Ofen gesteckt, ein riesiger Ofen. Die Hitze ist ungeheuer, der Ofen kracht.
    Ida! Jetzt ist er weg. Gott sei Dank, Ida, daß du kommst. Das war aber der größte Lump, den es auf der Welt gibt. Ida, ist gut, daß du kommst, der hat mir gereizt und getriezt, wat sagst du dazu, mir ist es schlecht gegangen, ick sitz jetzt hier, weeßte, wo det is, Buch, die Irrenanstalt, zur Beobachtung oder ick bin schon verrückt. Ida, komm doch, dreh mir nicht den Rücken zu. Wat macht sie bloß? Sie steht in der Küche. Ja, in der Küche steht das Mädel. Die pusselt da, die wischt wohl Teller ab. Aber wat knickt die immer so zusammen, knickt immer in der Seite zusammen, als ob sie ein Hexenschuß hat. Als ob sie einer haut, in die Seite. Hau doch nicht, Mensch, das ist ja unmenschlich, nicht doch, Mensch, laß doch das sein, laß doch das Mädel, oh zu, oh ja, wer haut denn die, die kann ja nicht stehen, steh doch grade Mädel, dreh dir um, kuck mir doch an, wer haut dir denn so furchtbar.
    »Du, Franz, du hast mir ja totgehauen.«
    Nee nee, det hab ick nicht gemacht, det is gerichtlich bewiesen, ick habe bloß Körperverletzung, ich war nicht schuld dran. Sag det nicht, Ida.
    »Ja du hast mir totgehauen. Paß auf, Franz.«
    Er schreit, nee nee, er preßt die Hand zu, er schlägt den Arm vor die Augen, er sieht es doch.
    Herankommen lassen. Herankommen lassen die fremden Wanderer, sie tragen Kartoffelsäcke auf dem Rücken, ein Junge fährt einen Handkarren hinter denen, ihm frieren die Ohren, es ist 10 Grad unter Null. Breslau mit der Schweidnitzer Straße, mit der Kaiser-Wilhelm-Straße, Kurfürstenstraße.
    Und Franz stöhnt: Da ist es schon besser tot sein, wer kann das aushalten, da soll doch einer kommen und mir totschlagen, ich hab das nicht gemacht, ich hab das ja nicht gewußt. Er wimmert, er lallt, sprechen kann er nicht. Der Wärter versteht, daß er was will. Er fragt. Der Wärter gibt ihm einen Schluck warmen Rotwein; die andern beiden Kranken, die im Saal sind, bestehen darauf, er muß den Rotwein warmmachen.
    Ida knickt weiter. Knick doch nicht weiter, Ida, ich war doch in Tegel dafür, ich habe meine Strafe weg. Da knickt sie nicht mehr, da setzt sie sich hin, da drückt sie ihren Kopf runter, sie wird immer kleiner und schwärzer. Da liegt sie – im Sarg und bewegt – sich nicht.
    Das Ächzen, das Ächzen von Franz. Seine Augen. Der Wärter setzt sich zu ihm, hält ihm die Hand. Das soll einer wegmachen, den Sarg soll einer wegschieben, ich kann doch nicht aufstehen, ich kanns doch nicht.
    Und er bewegt die Hand. Aber der Sarg bewegt sich nicht. Er langt ja nicht ran. Da weint Franz in Verzweiflung. Und stiert und stiert verzweifelt daraufhin. Und in seinen Tränen und in der Verzweiflung verschwindet der Sarg. Aber Franz weint immer weiter.
    Worüber aber, meine Damen und Herren, die ihr dies lest, weint Franz Biberkopf? Er weint darüber, daß er leidet und was er erleidet, und auch über sich. Daß er dies getan hat alles und so gewesen ist, darüber weint Franz Biberkopf.
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