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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
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in Kriegszeiten, jeder auf seine Weise. Nach dem Krieg sieht das Ganze etwas anders aus, aber unter Freunden lässt sich vieles klären, zur Not mit Geld.«
    Immer die gleiche Szene: Max Koller, heiser werdend, Whisky in sich hineinschüttend, und Hanjo Bünting, ein Antlitz wie Staub, seinen eigenen Nachruf in Mahagoni meißelnd.
    »Die Jahre vergehen, der Namenlose lässt sich nicht blicken. Inzwischen kann man nicht mehr von Freundschaft sprechen, das alles ist zu lange her. Sie sind erfolgreich, wohlhabend, ein Aufsteiger; wie mag es dagegen ihm im Osten gehen? Ich vermute, Sie werden als einer der wenigen Europäer froh über den Eisernen Vorhang gewesen sein. Und dann, nach über 60 Jahren, Sie beide sind alt geworden, steht er plötzlich vor Ihrer Tür. Genauer gesagt, vor der Arndts. Er muss die Gewissheit erlangen, dass sich hinter dem Mann, der seinen alten Namen trägt, sein SS-Kumpel Burkhardt verbirgt. Er hört sich um, erfährt von Ihrer Karriere, Ihren Erfolgen, Ihrem Reichtum. Warum ist er nicht früher gekommen? Was hat er die ganze Zeit getrieben? Wahrscheinlich wissen nicht einmal Sie das. Vielleicht ließ ihn das System nicht ausreisen, vielleicht lebte er zufrieden in seiner neuen Heimat ... möglich. Wir hatten ja keine Gelegenheit, ihn zu befragen. Aber nun kommt er als Fremder. Als Serbe. Er spricht Deutsch mit Akzent, er findet sich hier nicht zurecht, er sieht unseren Wohlstand. Sieht vor allem Ihren Wohlstand, Bünting. Er kapiert: Das Schicksal hat es gut mit Ihnen und schlecht mit ihm gemeint. Sie beide teilten das Geheimnis seiner Flucht, aber nur Sie haben davon profitiert. Und warum nennen Sie sich Hanjo Bünting? Warum haben Sie sich den Namen eines Desertierten zugelegt? Doch wohl nicht aus purer Sentimentalität. Ob er den wahren Grund schon letzten Sommer erahnt hat? Vielleicht, aber da konnte er noch nicht sicher sein, dass Sie und sein Freund Burkhardt dieselbe Person sind. Deshalb musste er nach Heidelberg. Und da wird es ihm endgültig klar: Sie haben seinen Namen benutzt, um sich reinzuwaschen. Auf dem Namen Hanjo Bünting haben Sie eine neue Existenz aufgebaut, die Existenz eines Kinderschänders. Und er? Fühlt sich um sein ganzes Leben betrogen.«
    Atemlos hielt ich inne. Ich war blau, hemmungslos besoffen, aber die Konzentration auf das Erzählen hielt mich aufrecht.
    »Noch am selben Tag«, fuhr ich fort, »meldet sich der Mann, der früher Hanjo Bünting hieß, bei Ihnen. Die Beschmutzung seines guten Namens will er sich vergolden lassen. Er beschimpft und bedroht Sie. Für ein längst verjährtes Verbrechen. Trotzdem, der jetzige Hanjo Bünting hat viel zu verlieren. Nicht bloß Geld, sondern sein Ansehen. Reputation, wie es manche Leute nennen. Er engagiert einen Privatflic, den er mit den nötigsten Informationen ausstatten will, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Daher das Arrangement mit dem verschlossenen Umschlag, den mir Schafstett zu übergeben hatte. Ich sollte dem Serben nachspionieren, erkunden, wie ernst er es meinte, und ihm eventuelle Beweisstücke abnehmen.« Ich zog das Foto aus der Tasche. »Hat er hiervon gesprochen, Bünting? Wie auch immer: keine Arbeit für einen Schläger wie Schafstett. Den Ermittler beordert man praktischerweise gleich an das leere Grab des geflohenen Vergewaltigers. Ein schöner Bildbeweis, nicht wahr? Und so effektvoll. Was dann passierte, wissen wir von Arndt. Eine Katastrophe für Sie. Und dabei dachten Sie zunächst, mit dem Tod Ihres ehemaligen Freundes sei die Sache ausgestanden.«
    Ich schüttete mir Whisky nach.
    »Aber das Genick gebrochen hat Ihnen das Foto. Arndt war immerhin so geistesgegenwärtig, es dem Toten abzunehmen, bevor der von Schafstett weggebracht wurde.« Ich hielt inne. Moment ... Was hatte der Dicke gesagt? Wohin hatten sie die Leiche gebracht? Fassungslos schlug ich mit der flachen Hand auf den Tisch. Nichts hatte der Dicke gesagt, nichts!
    »Verdammt noch mal!«, rief ich. »Ich Idiot! Das Naheliegendste habe ich übersehen! Der Serbe wurde nirgendwo hingebracht, er hat den Friedhof nie verlassen! Natürlich, es war ja so einfach: das Grab leer und für ihn bereitet. Wenn auch unter dem falschen Namen. Seit 60 Jahren ...« Ich schluckte. Seit 60 Jahren ...
    Dem Alten würde ich heute keine Reaktion mehr entlocken, das stand fest. Er war nur noch Hülle, nur noch blinde Motorik und üble Erinnerung.
    »Das Foto also. Eigentlich ein harmloses Bild mit Ihnen beiden in jungen Jahren: Hanjo Bünting
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