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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
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lange.
    Bevor ich es mir in Büntings Besuchersessel bequem machte und die Füße auf seinen Tisch legte, kontrollierte ich die Bar. Kein Oban mehr, aber einige andere Sorten Single Malt. Ich stellte sie nebeneinander auf den Tisch: einen Dalwhinnie, halb leer, einen Glenlivet, dito, eine verschlossene Flasche Macallan. Die drei von der Tankstelle. Es konnte losgehen, ich war bereit für das Finale.
    »Sie schon wieder!«, hörte ich jemanden schimpfen.
    Ich drehte mich um.
    »Was wollen Sie denn noch, Sie Quälgeist?« Da stand er in der Tür und bebte vor Zorn; aus dem melancholischen Greis von vorhin war wieder der arrogante Eisenschädel geworden. Dr. Hanjo Bünting, wie er leibte und lebte.
    »Ihre neue Putzkraft ist nicht so’n Appetithappen wie die andere«, sagte ich. »Aber sie lässt mich immer bereitwillig ins Haus. Wie heißt sie? Katerina die Zweite ...?« Ich fand das lustig.
    »Sie sind ja besoffen, Koller!«
    »Besoffen? Nee. Besoffen war ich vor einer Stunde. Dann hab ich mich über Ihren Oban hergemacht.« Ich wedelte mit der leeren Flasche.
    Der Alte mahlte mit den Zähnen. Seine Augen suchten nach Schafstetts Pistole. »Was wollen Sie? Verraten Sie es mir und hauen Sie ab!«
    »Nachschub, was sonst?« Sah er nicht, dass ich zur Whiskyprobe hier war? »Diesen Dings ... Dalwhinnie, den finde ich ein bisschen zu mild. Vielleicht mögen Sie so etwas ... Geschmackssache.«
    Büntings eisiger Blick glitt an mir ab wie an einer Teflonbeschichtung. Er war ratlos. Schließlich murmelte er etwas von Unverschämtheit und Polizei und drehte sich um.
    »Einen Moment, Kinderficker!«, rief ich.
    Hoppla, das saß. Insgeheim hatte ich gehofft, Büntings ehrenwertes Haus werde durch den Gebrauch dieser Vokabel in seinen Grundfesten erschüttert. Wenigstens die Wände der Villa hätten vor Scham erröten können. Nichts geschah. Mauern sind geduldig.
    Bünting allerdings blieb auf der Schwelle stehen. Wie angewurzelt.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen das Foto zurückzugeben«, sagte ich. »Interesse?«
    Der Hausherr schwieg. Seine Schulterblätter hoben sich leicht.
    »Vorschlag, Herr Bünting: Sie setzen sich zu mir, wir plaudern ein wenig, anschließend bekommen Sie das Bild. Was halten Sie davon?«
    Bünting wandte sich langsam um und warf mir lauernde Blicke zu. In diesem Moment erinnerte er mich, warum auch immer, an ein intelligentes kleines Raubtier, das vor Jahren in einen Käfig gesperrt worden war und seither nichts anderes tat, als seine Zähne an den Gitterstäben zu wetzen.
    »Vorher können Sie Ihren Enkel herbeizitieren. Damit er seine Familiensaga nicht verpasst.« Schmunzelnd fügte ich an: »Gell ...?«
    »Arndt ist nicht mehr im Haus«, sagte der Alte heiser. »Lassen Sie ihn aus dem Spiel.«
    »Bitte ... Vielleicht fällt Ihnen dann das Reden leichter. Los, setzen Sie sich!« Ich wedelte mit dem Foto, und tatsächlich: Bünting trottete folgsam um den Tisch herum und nahm seinen üblichen Platz ein.
    »Es gibt zwei Möglichkeiten«, begann ich. »Entweder Sie reden, und ich höre zu – oder umgekehrt. Im letzten Fall muss ich allerdings trinken. Viel trinken. Wenn ich etwas hasse, dann solche langen, trockenen Vorträge.«
    Bünting griff zu seinem Lieblingsspielzeug, dem Brieföffner, und schwieg. So einfach ließ er sich nicht aus der Reserve locken.
    »Na gut. Hiermit erteile ich Max Koller das Wort. Kapitel eins: der Kinderficker.«
    Kein Protest. Hatte er sich schon an die Vokabel gewöhnt?
    »Wir schreiben das Jahr 1945. Heidelberg im März. Wie Sie es uns so schön geschildert haben: In der Stadt herrscht das Chaos. Die Amis rücken vor, die Nazis geraten in Panik, ab und zu hängt ein Volksverräter am Baum, fällt eine Bombe auf die Gleisanlagen. Kriegsalltag.«
    Im Haus mussten mehrere Türen offen stehen. Die Musik im Erdgeschoss war jetzt gut zu vernehmen.
    »Passt prima, dieser Filmschinken, finden Sie nicht?«, sagte ich.
    »Das ist der ›Tristan‹, die Lieblingsoper meiner Frau«, herrschte er mich an. »Wenn Sie nicht einmal Wagner von Filmmusik unterscheiden können, tun Sie mir leid.«
    Ich lachte schallend und schenkte mir ein Gläschen Glenlivet ein. »Genug gescherzt, Dr. Bünting. Zurück zum Krieg. In dieser Endzeitstimmung passieren Dinge, die nicht passieren sollten. Da hat zum Beispiel ein junger Soldat seine Erektionen nicht unter Kontrolle und vergreift sich an der nächstbesten Kindermuschi. Hinterher Katzenjammer: Wie wird das ausgehen? Die Stimmung gereizt,
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