Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
Vom Netzwerk:
rückte sie raus mit der Sprache.«
    »Erst, nachdem er tot war? Seien Sie mir nicht böse, aber dann hätte sie alles auch erfinden können.«
    Sie winkte ab. »Hören Sie auf. Wie hätte sie erfinden können, was in den Monaten danach mit ihr geschah?«
    Ich zupfte mich am Ohrläppchen. Das hatte mir Bünting verschwiegen ... Nein, Korrektur: Er hatte es gar nicht wissen können, weil er Heidelberg bereits verlassen hatte.
    »Und weiter?«
    »Weiter? Die Eltern zwangen die Kleine dazu, das Baby abzutreiben. Wie sie das hinbekamen und bei welchem Arzt: Ich weiß es nicht. Anschließend ließ man Gras über die Sache wachsen. Fertig.«
    »Und das Mädchen?«
    »Wird die Sache irgendwie überstanden haben. Wir sind uns danach kaum noch begegnet. Wissen Sie, wir waren ja ausgebombt. Wohnten eine Weile bei Verwandten auf dem Land, dann wieder hier, zwischendrin mal im Ruhrgebiet ... wo es einen halt so hintreibt. Soviel ich weiß, hat sie später geheiratet.«
    Der Neffe der Oma kam mit einer Kanne Tee herein und setzte sich zu uns. »Wollen Sie auch ein Tässchen?«
    »Danke«, wehrte ich ab. Ich mochte mir den angenehmen Oban-Nachgeschmack nicht verderben. Die Kekse passten hervorragend zu dem Whisky.
    »Stell dir vor, Engelbert«, sagte meine Gesprächspartnerin, »der junge Mann hier ist der Erste, der sich für diese alten Zeiten interessiert. Von euch hat mich noch nie einer danach gefragt. Und ich könnte euch einiges erzählen!«
    »Sicher könntest du das, Oma«, nickte der Physiker und beobachtete den aus seiner Teetasse entweichenden Dampf. Wahrscheinlich kontrollierte er, ob sich der Dampf auch so verhielt, wie es in den Physikbüchern stand. Und seine Tante nannte er Oma. Diese Akademiker werde ich nie verstehen.
    »Versuchen Sie sich noch einmal zu erinnern«, sagte ich und holte das Foto aus der Tasche. »Wie sah dieser Jakob Burkhardt aus? Groß, klein, schlank, kräftig? Irgendwelche besonderen Kennzeichen?«
    »Keine Ahnung, junger Mann«, entgegnete sie. »Ich kannte ihn ja gar nicht.«
    »Sie kannten ihn nicht? Sie haben ihn nie gesehen?«
    »Nein. Ich wusste, dass nebenan Soldaten verkehrten, und kannte ein paar vom Sehen. Burkhardt nicht. Seinen Namen hörte ich zum ersten Mal, als er tot war. Und den habe ich natürlich nicht vergessen. Schließlich liegt meine Schwester neben ihm.«
    »Aber Sie haben ihn eben noch beschrieben: als strammen Nazi und als jungen Kerl, der die Welt erobern wollte.«
    »Na, sicher, weil alle Welt über ihn redete, als die Sache raus war! Meine Eltern, die Nachbarn, die ganze Straße. Da wurde jedes Detail wiedergekäut, erst recht, weil der Junge doch tot war und man ihn nicht mehr belangen konnte.«
    Damit hatte ich nicht gerechnet. Mein schönes Foto – es nützte mir überhaupt nichts. »Würden Sie Burkhardt denn beschreiben können? Ich meine, aufgrund der Erzählungen Ihrer Nachbarn?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Und der Name Bünting sagt Ihnen auch nichts, oder?«
    »Nein. Nach dem haben Sie mich doch schon mal gefragt.«
    »Bünting?«, mischte sich der Neffe ein. »Der Chemiker?«
    »Ja. Kennen Sie ihn?«
    »Kennen ist zu viel gesagt. Ich habe ihn einmal getroffen. Hohes Tier bei den DACH, sonst weiß ich nichts über ihn.«
    Schöne Pleite. Ich war ganz umsonst hergekommen.
    »Schauen Sie sich trotzdem mal dieses Bild an«, bat ich die beiden und reichte ihnen das Foto.
    »Ein Bild von Burkhardt?«, fragte sie und setzte ihr Lesebrille auf. Ich nickte.
    Gemeinsam mit ihrem Neffen betrachtete sie die beiden Weltkriegssoldaten. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Nein, wo haben Sie bloß dieses Foto her?« Und als ich nicht antwortete: »Den Jungen habe ich wirklich noch nie gesehen. Aber so ähnlich habe ich ihn mir vorgestellt. Dafür erinnere ich mich an den anderen.«
    »Also doch. Das ist nämlich Bünting«, erklärte ich.
    »Stimmt«, bestätigte der Physiker. »Er gleicht sich noch ganz gut.«
    »Ach, Bünting hieß der? Möglich. Seinen Namen kannte ich nicht. Und der da liegt nun auf dem Bergfriedhof neben Margarete?« Sie zeigte auf den Linken.
    Ich zögerte. Brauchte die Oma die Geschichte des leeren Grabes zu erfahren? Für sie konnte doch alles bleiben, wie es war. Ich nickte also. Währenddessen nahm der Neffe ihr das Foto aus der Hand und tippte auf den rechten der beiden Soldaten.
    »Den meinst du wohl«, sagte er. »Der andere ist dieser Bünting.«
    »Wie jetzt?«, rief sie aus. »Der andere ist Bünting? Dann kann der hier aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher