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Bergfriedhof

Bergfriedhof

Titel: Bergfriedhof
Autoren: Gmeiner-Verlag
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bitte schön, und die haben alle studiert ... na, das Geld kam ja auch vom Gatten, der war Richter ... genau, Richter war der, und der liegt jetzt da oben hinter dem Krematorium. Und die Adresse der guten Frau? Blumenstraße, überm Aldi, nein, überm Lidl ... überm ehemaligen Lidl, genauer gesagt, und das Haus nebenan gehört ihr ... die Wohnung auch, in der sie lebt ... aber das ganze Haus daneben, das muss man sich mal vorstellen!
    Ich bedankte mich. Blumenstraße also, die lag in der Weststadt.
    Ich traf die Witwe des Richters nicht beim Skat und auch nicht beim Häkeln, sondern beim Fernsehen. Eine Schwarz-Weiß-Komödie aus den 50-ern mit lauter gut gekleideten, höflichen Schauspielern, die überdeutlich artikulierten. Sie amüsierte sich prächtig.
    Ich könne ja später wiederkommen, bot ich ihr an. Falls ich störte. Aber nein, aber nein, erstens sei der Film ausgemachter Schwachsinn, und zweitens habe sie ihn längst auf Video. Überlegen Sie mal, junger Mann, die 20. Wiederholung seit 1955! So konnte man es natürlich auch sehen.
    Ich nahm auf einer rustikalen Eckbank Platz und schüttelte ihrem Neffen, dem Physiker, die Hand. Er erinnerte mich an Leander, nicht nur wegen seines Vollbarts und des handgestrickten Pullovers. Auch sein treuherziger Blick und die fahrigen Bewegungen ließen erahnen, dass er tagsüber hauptsächlich mit Quarks und Protonen verkehrte, bevor ihm seine Tante abends die Schinkenbrote schmierte.
    »Hier, meine Lieblingskekse«, sagte die gute Frau. »Die müssen Sie probieren.«
    Das tat ich natürlich. Lobte sie über den grünen Klee. Und hoffte, mein Whiskyatem würde nicht mehr so penetrant sein, nachdem ich mir zu Hause die Zähne geputzt hatte.
    »Wissen Sie«, begann ich, »es geht noch einmal um die Kriegserlebnisse, von denen Sie mir erzählt haben.«
    »Diese alten Geschichten? Was wollen Sie denn damit, junger Mann?«
    »Ich brauche noch ein paar Informationen. Lassen Sie mich kurz zusammenfassen, was Sie mir vorgestern sagten. Ihre Schwester starb im März 1945, bei einem Bombenangriff auf die Bergheimer Straße.«
    Sie nickte.
    »Sie war eine von etwa einem Dutzend Toten, die gemeinsam ihre letzte Ruhe oben auf dem Bergfriedhof fanden. In den Gräbern mit der schlichten Steinplatte.«
    Sie nickte.
    »Waren Sie bei der Beerdigung der Opfer persönlich anwesend?«
    »Beerdigung?«, rief sie aus. »Sie haben Vorstellungen, junger Mann! Von Beerdigung kann keine Rede gewesen sein, die Armen wurden so schnell wie möglich verscharrt. Hinterher, nach der Kapitulation, hat man einen Gottesdienst für sie abgehalten, aber damals doch nicht.«
    »Verstehe.«
    »Mein Vater hat in aller Eile einen Sarg für meine Schwester gezimmert, den haben sie oben in die Grube gelegt. O ja, ich sehe ihn noch vor mir, wie er die paar Nägel, die wir hatten, ins Holz treibt, die Tränen laufen ihm übers Gesicht, und dann war der Sarg noch zu klein!« Sie schüttelte den Kopf.
    »Das heißt, die Angehörigen haben mehr oder weniger selbst dafür gesorgt, dass alle begraben wurden?«
    »Ja, soviel ich weiß.«
    »Eines der Opfer war ein gewisser Jakob Burkhardt. Können Sie sich erinnern?«
    »Natürlich kann ich mich erinnern. Warum fragen Sie nach dem?«
    »Sie scheinen ihn nicht sonderlich zu mögen. Gemocht zu haben, meine ich. Hat er Ihnen etwas getan?«
    »Mir? Nein, mir nicht.«
    »Aber einer anderen.«
    »Ja.« Sie sah mich scharf an. »Und das soll ich Ihnen jetzt erzählen? Junger Mann, das ist ein Menschenleben her. Damit locken Sie keinen Hund hinterm Ofen hervor.«
    »Es ist mir aber wichtig.«
    Sie seufzte. »Wenn Sie meinen ... Dieser Burkhardt hat damals ein Mädchen vergewaltigt. Ein Mädchen von 12 Jahren. Dabei war er selbst noch ein grüner Junge. Keine 18 Jahre alt, aber schon ein strammer Nazi, der die Welt erobern wollte. Das mit der Welt wurde ja nix, also hat er sich an denen schadlos gehalten, die sich nicht wehren konnten. Es passierte bei unseren Nachbarn, feinen Leuten. Die hatten immer regen Kontakt zur Wehrmacht und zur SS, ich weiß nicht mehr, warum. Da gingen die Soldaten ein und aus. Und eines Tages schnappt sich dieser Burkhardt die Jüngste von nebenan und macht sich über sie her. Eine Schande war das!«
    »Und dann? Wurde er nicht bestraft?«
    »Doch. Und zwar von ganz oben. In diesem Fall stimmt die Redensart. Es ahnte ja niemand, was geschehen war. Die Kleine schwieg ein paar Tage lang aus Angst, und erst, nachdem es den Burkhardt erwischt hatte,
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