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Benjamins Gärten (German Edition)

Benjamins Gärten (German Edition)

Titel: Benjamins Gärten (German Edition)
Autoren: J. Walther
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Familienapparat aus dem Schrank. Ein angefangener Film liegt noch darin. Es wird Zeit, das Album weiterzuführen. Mein eigenes Leben festzuhalten.

    Ich gehe in den Garten. Die Sonne beginnt, den Regen von den Blätter zu saugen. Ich schnalze, Jurek kommt unter den Sträuchern hervor und ich mache ein Foto von ihm. Er setzt sich, putzt sich verlegen, kneift dann die Augen zusammen und ich nehme ihn noch einmal auf.
    Dann wende ich mich um und fotografiere den Garten. Jetzt, wo ich gerade die alten Fotos angesehen habe, fällt mir auf, wie sehr er sich verändert hat. Dass er wilder geworden ist, das Gras höher. Dass er mein Garten geworden ist.
    Ich gehe ein paar Schritte, fotografiere mein Haus. Mein Zuhause.
    Auf der Anrichte steht nur ein einziges Foto in einem silbernen Rahmen. Es kam mir übertrieben vor, mehr aufzustellen. Ich hatte Angst davor. Es zeigt meine Eltern auf einer Bank am Rande eines Sees, heiter und entspannt. Ich lächle sie beide an. Sie lächeln zurück.
    Hinter mir springt plötzlich die Tür auf, ich erschrecke, lasse den Rahmen fallen. Das Glas zerspringt. Ich fahre herum, aber es war nur Jurek. Er kommt näher, schnüffelt an den Scherben, streift meine Beine mit seinem Köpfchen. Ich knie mich hin, streichle ihn.
    Dann klaube ich das Foto aus den Glasscherben, drehe es herum. Da steht etwas geschrieben, mit rotem Buntstift, in der krakeligen, fast kindlichen Schrift, die mein Vater kurz vor seinem Tod hatte. Du kannst nicht für alles Vorsorge treffen. Niemand ist unfehlbar. Ich habe nach seinem Tod Dutzende solcher Zettel gefunden, Kassenbons, Quittungen, Einkaufszettel, beschrieben mit Lebensweisheiten, Kalendersprüchen, Bibelzitaten. Ich habe sie alle weggeworfen. Sinnloses Gekritzel, das nichts geholfen hat.
    Ich setze mich auf den Boden. Plötzlich spüre ich, wie sehr er gelitten hat, wie sehr er Halt gesucht hat, und sei es nur in einigen Sätzen, zu seiner Beruhigung ausgesprochen.
    Ich blicke wieder auf die Rückseite des Fotos. Am unteren Rand stehen vier Zahlen. Ich schaue sie genau an: 13! 9; 11; 7 - es sind meine Prüfungsergebnisse, von ihm hingekritzelt. Ich betrachte das Ausrufezeichen hinter der dreizehn. Eine Eins minus in Biologie, auf die ich stolz war.
    Ich muss weinen. Ich habe immer geglaubt, dass er sich gar nicht dafür interessierte. Für meine Schule, für mein Leben, für meine Zukunft. Ich habe ihm unrecht getan, meinen Groll geschürt. Ich wische mir die Tränen ab. Und plötzlich spüre ich, dass ich ihm gerne verzeihen möchte. Ich weiß noch nicht genau, wie lange es dauern wird, aber ich merke, dass allein der Entschluss dazu führt, dass ich mich besser fühle.
    Ich stehe auf und verlasse das Haus. Den Weg zum Friedhof, zum Grab meiner Eltern kenne ich gut. Aber noch nie habe ich mich hingekniet zu ihnen. Noch nie habe ich mit ihnen geredet, so wie jetzt. Stumm zwar, aber ich komme mir trotzdem ein bisschen komisch vor. Ich erzähle ihnen von Marek, von Jurek. Sage ihnen, dass ich mich gut um das Haus kümmere. Dass ich sie vermisse.
    Ich beginne Unkraut auszuzupfen, um den eigentlichen Grund meines Hierseins zu kaschieren. Aber das ist überflüssig, niemand kommt auf den Friedhof wie sonst um diese Zeit. Es hat geregnet, die Erde ist noch feucht.
    Die Dämmerung kriecht langsam unter den Bäumen hervor, als ich den Friedhof endlich verlasse. Ich laufe durchs Dorf, bin ganz allein auf der Straße, sehe nur hinter einigen Fenstern das blaue Licht der Fernseher schimmern. Der Lichtkegel von Autoscheinwerfern fängt mich von hinten ein. Der Wagen überholt mich, biegt dann um eine Ecke.
    Ich will noch nicht nach Hause. Der Abend verlangt nach etwas Außergewöhnlichem. Ich gehe immer weiter, erreiche eine bröckelige Mauer. Ich laufe an ihr entlang, bleibe schließlich vor einem schmiedeeisernen Tor stehen. Ich schaue nach rechts und links, klettere daran hoch, springe auf der anderen Seite hinunter. Ich komme ungünstig auf, ein stechender Schmerz zieht durch meinen Knöchel.
    Vor mir ragt ein Flügel der alten Fabrik vor dem dunkler werdenden Himmel auf. Ich gehe um das Gebäude, finde das Fenster, durch das ich mit Anna gestiegen bin. Ich krieche hinein, suche meinen Weg über den mit Schutt bedeckten Boden.
    Ich finde die Treppe zum Keller. Unten öffnet sich ein großer Raum vor mir. Durch die hoch liegenden schmalen Fenster fallen blasse Lichtstreifen ein, brechen sich auf der Wasseroberfläche und verlieren sich schnell in der dunklen Tiefe. Die
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