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Benjamins Gärten (German Edition)

Benjamins Gärten (German Edition)

Titel: Benjamins Gärten (German Edition)
Autoren: J. Walther
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klappert mit ihnen. Kälte kriecht unter die Decke. Marek hat sich darin eingewickelt, für mich reicht sie nicht mehr. Der Regen wird heftiger, peitscht gegen die Scheiben. Ich schließe die Augen.

    Bücher, Hefter und lose Blätter bedeckten den Tisch in der Küche, ergossen sich über Stühle und den Fußboden. Feuchte Flocken trieben gegen die dunkle Scheibe. Ich saß in eine Decke gehüllt, die Glut im Ofen war schon fast zerfallen gewesen, als ich Kohlen nachgelegt hatte. Ich suchte eine Hausaufgabe in dem Wust. Vater kam herein, und ich legte ihm eine Klausur zum Unterschreiben vor, eine sehr schlechte Note. Er stierte mit leeren Augen darauf, unterschrieb wortlos, drehte sich um. Ich fuhr ihn an, ob er wisse, was das bedeutet, dass es mein Abitur gefährden könnte. Ob er überhaupt wisse, dass ich bald Abitur mache, noch eher achtzehn würde, die Schule bald zu Ende sein würde. Er wand sich, brachte keine vernünftige Antwort zustande. Hatte meiner kalten Wut, meinen scharfen Worten, nichts entgegenzusetzen. Er schloss die Tür leise hinter sich.

    Er hat mich allein gelassen, mit der Schule, mit meiner Zukunft, mit dem Heizen des Ofens. Wir waren einsame Planeten, deren Umlaufbahnen sich nur selten überschnitten, dann meist kollidierten. Ich denke an seine glasigen, hilflosen Augen. Ich habe ihn auch allein gelassen. Kein nettes, verständnisvolles Wort mehr zwischen uns. Ich behandelte ihn herablassend und kühl, war wütend auf ihn und seine Hilflosigkeit.
    Ich öffne die Augen, drehe mich auf den Rücken. Ich verschränke die Hände hinter dem Kopf und starre an die Decke. Ich nehme wahr, dass Marek sich bewegt, sich herumdreht. Ich wende den Blick nicht zu ihm.
    »Was ist los?«, flüstert er.
    Ich schüttle den Kopf. Er atmet hörbar aus.
    »Mein Vater.«
    Er sagt nichts. Ich sage nichts. Der Regen ist zu einem Tröpfeln abgeklungen. Marek verschränkt auch die Arme hinter dem Kopf, schaut an die Decke.
    »Du musst mit deinen Eltern abschließen. Nach vorn schauen.«
    »Das ist leicht gesagt.«
    »Ich weiß.«
    Meine Zukunft. Gestern hat er mich darin unterstützt. Das hätte er längst schon einmal tun können. Das habe ich mir von Anfang an von ihm gewünscht. Aber vielleicht hat er das nicht einmal gewusst.
    »Ich muss jetzt los.«
    »Es regnet doch.« Es regnet und wir haben noch nicht einmal gefrühstückt.
    Marek steht auf, schlüpft in seine Sachen: »Rechne heute Abend nicht mit mir.«
    Dann ist er weg. Ich bleibe liegen. Ich starre auf die Tür, durch die er verschwunden ist. Das Geräusch des Regens lullt mich ein. Meine Gedanken sind träge. Ich zögere den Beginn des Tages hinaus.
    Schließlich gehe ich nach unten, frühstücke allein. Ich nehme mir für den Tag nichts vor. Will lieber auf Mareks Rat hören.
    Ich blättere im Fotoalbum. Betrachte die vertrauten Bilder. Eine Auswahl von Erinnerungen. Meistens sind meine Mutter und ich darauf zu sehen, Vater fotografierte. Ich auf dem Schoß meiner Mutter, an ihr Knie geschmiegt, sie umarmend, während sie im Gras hockt. Dann stehe ich unbeholfen neben ihr, ein halber Meter zwischen uns. Bin fast so groß wie sie. Der Anzug hängt um meine Schultern. Auf der nächsten Seite ein Bild, auf dem ich ein Gesicht ziehe, weil ich nicht mit ihr fotografiert werden will. Ein anderes Bild, auf dem ich aussehe, als würde ich nicht dazugehören.
    Dann werden die Bilder spärlicher. Ein Bild von ihr allein unter dem Birnbaum, Bücher und Sekt auf dem Gartentisch. Ein Bild, das ich auf ihre Bitte hin gemacht habe. Dann setzte ich mich zu ihr. Ließ mir ein Glas Sekt eingießen. Trank davon, spülte Davids Geschmack von meiner Zunge. Sonnenstrahlen fielen durch die Blätter des Birnbaumes. Mutter zeigte mir Bilder von Florenz in einem dicken Bildband, schwärmte. Vertraute mir flüsternd eine Liebelei aus ihrer Jungmädchenzeit an, lachte mit mir. Sie nahm ein schmales Buch von dem Stapel auf dem Tisch, drückte mir den Roman in die Hand, zögerte kurz, meinte dann jedoch, ich sei alt genug für ihn. Seit Kurzem war ich größer als sie und das war irgendwie komisch. Sie lächelte stolz, als ich mich reckte.
    Ich war größer als sie, fast erwachsen. Bald versank der Gartentisch zwischen buntem Laub. Ich brachte ihr die Bücher, die sie wünschte, hinauf ins Schlafzimmer. Meine Zukunft hatte ihre Unbeschwertheit eingebüßt.
    Danach bricht das Fotoalbum ab. Es sind noch leere Seiten darin. Ich habe es nie weitergeführt. Ich hole den alten
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