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Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte

Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte

Titel: Benjamin Rootkin - Zeiten voller Zauber, eine Weihnachtsgeschichte
Autoren: Rainer Wekwerth
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frühen Stunde drängten sich schon jede Menge Menschen vor der Halle. Er war das einzige Kind. Um ihn herum standen Erwachsene, zumeist Männer, deren ausgemergelte Gesichter eine deutliche Sprache sprachen. Ihre schäbige, abgenutzte Kleidung wies oft grobe Flickstellen auf, war zu groß oder zu klein. Ben hatte einmal die Soldaten der Königin gesehen, die mit ihren eleganten roten Uniformröcken, den goldenen Zierknöpfen und den hohen Bärenfellmützen schneidig durch die Stadt marschiert waren. Die Menschen hier sahen auch wie eine Armee aus. Eine Armee der Bettler, der Verzweifelten und der Hungernden marschierte hier mit der Hoffnung auf Arbeit, und sei es auch nur für einen Tag, vor der Halle auf und ab.
    Der Junge war erschüttert. Er hatte stets geglaubt, er gehöre zu den Armen dieses Landes, aber nun sah er Männer, die weniger als er hatten. Für ihn gab es ein Zuhause, wenn es auch das Waisenheim war, Nahrung und saubere Kleidung.
    Plötzlich knarrte das Eisentor. Ein fetter, jüngerer Händler in vornehmem Anzug und steifem Hut schob sich heraus. Seine kleinen Augen huschten über die wartende, schweigende Menge.
    „Ich brauche zwei Packer!“, brüllte er.
    Ein Orkan aus Geräuschen und Rufen brach aus. Alle schrien gleichzeitig. Jeder versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Hände wurden flehend ausgestreckt, und dann drängte alles nach vorn.
    Um ein Haar wäre Ben unter die Füße der schiebenden und stoßenden Menge geraten. Nur mühsam wühlte er sich frei.
    Nein, hier würde er keine Arbeit finden. Niemand beschäftigte einen Jungen, wenn er für den gleichen Lohn einen erwachsenen Mann haben konnte, und außerdem konnten Tage vergehen, bis ihn ein Händler in dem Gedränge entdecken würde.
    Deprimiert trottete er zur Innenstadt.
     
     
    Zwei Stunden später war Ben nahe daran aufzugeben. Er hatte sich in mehreren Läden vorgestellt und nach Arbeit gefragt, aber überall war er weggeschickt worden. Es war unglaublich. London, die Hauptstadt des Britischen Empires, der größten Macht auf Erden, bot einem elfjährigen Jungen, der nach Arbeit suchte, keine Möglichkeiten.
    Die Sonne war inzwischen aufgegangen und ihre frühen Strahlen brachten die Fensterscheiben zum Funkeln. Trotzdem war es bitter kalt, und Ben hatte seine Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Die Mütze weit ins Gesicht gezogen, stapfte er Richtung Waisenheim.
    Er ging gerade an einer Hofeinfahrt vorbei, als ihn ein dicklicher, kleiner Mann in schwerer Kleidung ansprach.
    „He Junge. Ja du, dich meine ich. Komm mal her!“
    Ben trat verdutzt näher.
    „Ja?“
    „Guten Morgen. Hast du Lust, dir ein paar Pennys zu verdienen?“
    Der Junge traute seinen Ohren kaum. Da lief er stundenlang erfolglos von Laden zu Laden auf der Suche nach Arbeit und jetzt wurde ihm sogar welche angeboten.
    „Was muss ich dafür tun?“, fragte er misstrauisch.
    Der Mann lächelte ihn freundlich an.
    „Keine Sorge, nichts Schlimmes! Allerdings schwere Arbeit ist es trotzdem. Ich bin Kohlenhändler, mein Name ist Richard Weern, und einer meiner Gesellen ist heute Morgen nicht erschienen. Weiß der Teufel, was diesen Burschen reitet, dass er glaubt, er könne einfach so von der Arbeit wegbleiben? Na ja, also ich brauche dringend jemanden, der im Keller die Eimer füllt.“
    „Eimer füllen?“
    „Ja! Wieso spricht etwas dagegen?“
    „Nein, nein!“, versicherte Ben hastig.
    „Also, du gehst in den Keller, füllst die Eimer mit den Kohlen, und ich und Joseph ziehen sie dann hoch. So einfach ist das!“
    „Und was bezahlen sie?“
    „Drei Pennys die Stunde und einen halben Schilling extra, wenn du den ganzen Tag bleibst.“
    Ben überschlug die Summe kurz im Kopf. Nicht gerade viel, aber eine bessere Möglichkeit würde sich ihm kaum bieten. Er streckte Mr.Weern die Hand entgegen.
    „Gemacht!“
    Der Kohlenhändler lachte dröhnend, ergriff die angebotene Hand und schlug ein.
    „Du bist richtig, Junge! Komm mit.“
     
    Ben hatte die Arbeitskleidung des fehlenden Gesellen bekommen. Jacke, Hose und Lederschürze waren ihm zwar viel zu groß, aber so schonte er wenigstens seine eigenen Sachen.
    Mr.Weern hatte ihn in den Keller geführt. Grobgehauene Wände wölbten sich kuppelartig über einen mit Kohlenstaub bedeckten Steinboden. Durch einen langen Schacht fiel nur wenig Tageslicht, aber Mr.Weern hatte eine verbeulte Öllampe aufgehängt, die flackernd ihren Schein an die Wände warf. Bens Aufgabe bestand darin, die an Seilen in den
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