Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Karin Slaughter
Vom Netzwerk:
Woche vergangen, ohne dass er gerufen wurde, mindestens einen Mord zu untersuchen, gewöhnlich Folge der extremen Armut in Birmingham: Drogengeschäfte, die schief gelaufen waren, häusliche Streitigkeiten, bei denen Waffen zu leicht bei der Hand waren. Wenn Saras Anruf aus Madison oder gar Avondale gekommen wäre, hätte es Jeffrey nicht überrascht. Drogen und gewalttätige Auseinandersetzungen unter rivalisierenden Banden wurden in den beiden anderen Städten immer häufiger zu Problemen. Heartsdale war das Juwel. In zehn Jahren betraf der einzige verdächtige Todesfall eine alte Frau, die einen Herzschlag bekommen hatte, als sie ihren Enkel dabei erwischte, wie er ihren Fernseher stehlen wollte.
    «Chief?»
    Jeffrey griff nach unten und nahm sein Funkgerät zur Hand.
    «Yeah?»
    Maria Simms, die Telefonistin auf der Wache, sagte: «Ich habe mich um die Sache gekümmert, so wie Sie es wünschten.»
    «Gut», antwortete er und fügte hinzu: «Bis auf weiteres Funkstille.»
    Maria verzichtete auf die nahe liegende Frage und schwieg.
    Grant war immer noch eine Kleinstadt, und sogar auf der Wache gab es Leute, die reden würden. Jeffrey wollte diese Sache so lange unter Verschluss halten, wie es nur ging.
    «Verstanden?», fragte Jeffrey.
    Schließlich antwortete sie: «Ja, Sir.»
    Jeffrey schob sein Handy in die Jackentasche, als er aus dem
    -20-
    Auto stieg. Frank Wallace, sein dienstältester Detective, stand bereits Wache vor dem Diner.
    «Jemand rein oder raus?», fragte Jeffrey.
    Er schüttelte den Kopf. «Brad ist an der Hintertür», sagte er.
    «Der Alarm ist abgeschaltet. Ich nehme an, der Täter hat sich das zunutze gemacht, um rein- und wieder rauszukommen.»
    Jeffrey blickte auf die Straße zurück. Betty Re ynolds, die Besitzerin des Kramladens, fegte den Gehsteig und warf argwöhnische Blicke in Richtung Diner. Bald würden die Leute kommen, wenn nicht von Neugier getrieben, dann von Hunger.
    Jeffrey drehte sich wieder zu Frank um. «Niemand hat was gesehen?»
    «Nicht das Geringste», bestätigte Frank. «Sie ist zu Fuß von zu Hause hierher gekommen. Pete sagte, sie kommt jeden Montag nach dem Mittagsandrang her.»
    Jeffrey nickte knapp und betrat das Lokal. Das Grant Filling Station war so etwas wie der Mittelpunkt der Main Street. Mit seinen großen roten Nischen und den gesprenkelten weißen Resopalflächen, mit den Chromgeländern und den verchromten Strohhalmspendern sah es noch fast so aus wie damals, als Petes Vater es eröffnet hatte. Sogar die derben weißen
    Linoleumfliesen auf dem Boden, die stellenweise so
    durchgetreten waren, dass man die schwarzen Klebeflächen sah, stammten noch aus der Anfangszeit. Jeffrey hatte in den vergangenen zehn Jahren hier fast jeden Mittag gegessen. Das Lokal war irgendwie ein Hort der Entspannung gewesen, eine vertraute Zuflucht nach der ständigen Auseinandersetzung mit dem Abschaum der Menschheit. Er sah sich im Raum um, wohl wissend, dass für ihn von jetzt an hier nichts mehr wie früher sein würde.
    Tessa Linton saß an der Theke, den Kopf in die Hände gestützt. Pete Wayne saß ihr gegenüber und starrte mit leerem Blick aus dem Fenster. Nur an dem Tag, als die Raumfähre
    -21-
    Challenger explodiert war, hatte Jeffrey ihn wie heute ohne seine Papiermütze im Lokal gesehen. Petes Haar war auf seinem Kopf hochgesteckt, und dadurch wirkte sein Gesicht noch länger, als es bereits war.
    «Tess?», fragte Jeffrey und legte ihr die Hand auf die Schulter. Sie lehnte sich weinend an ihn. Jeffrey strich ihr übers Haar und nickte Pete zu.
    Pete Wayne war normalerweise ein fröhlicher Mensch, aber heute wirkte er wie versteinert. Er schien Jeffrey kaum wahrzunehmen, starrte unverwandt zu den Fenstern an der Restaurantfront hinaus und bewegte fast unmerklich die Lippen.
    Doch es kam kein Ton heraus.
    Nach einigen Augenblicken des Schweigens setzte Tessa sich auf. Sie hantierte an dem Serviettenspender, bis Jeffrey ihr sein Taschentuch anbot. Er wartete, bis sie sich die Nase geputzt hatte, und fragte dann: «Wo ist Sara?»
    Tessa faltete das Taschentuch zusammen. «Noch immer auf der Toilette. Ich weiß nicht -» Tessas Stimme versagte. «Da war so viel Blut. Sie wollte mich nicht hineinlassen.»
    Er nickte und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Sara war immer sehr besorgt um ihre kleine Schwester, und während ihrer Ehe hatte sic h dieser Beschützerinstinkt auf Jeffrey übertragen.
    Auch nach der Scheidung hatte Jeffrey noch das Gefühl, dass Tessa und die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher