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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Karin Slaughter
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Halsschmerzen.
    Heute würde sie den Eltern eines zwölfjährigen Jungen sagen müssen, dass er an akuter myeloblastischer Leukämie erkrankt war.
    «Nicht gut», vermutete Nelly. Sie arbeitete schon lange genug in der Klinik, um zu wissen, wie man einen Laborbericht las.
    «Nein», stimmte Sara zu und rieb sich die Augen. «Ganz und gar nicht.» Sie setzte sich im Stuhl zurück und fragte: «Die Powells sind in Disney World, oder?»
    «Zu seinem Geburtstag», sagte Nelly. «Sie müssten heute Abend wieder zurück sein.»
    Sara fühlte, wie tiefe Traurigkeit in ihr aufstieg. Sie konnte sich einfach nicht daran gewöhnen, Nachrichten dieser Art zu überbringen.
    Nelly schlug vor: «Ich kann für sie gleich als Erstes morgen früh einen Termin machen.»
    «Danke», sagte Sara und steckte den Laborbericht in Jimmy Powells Krankenakte. Dabei warf sie einen Blick auf die Wanduhr und schnappte hörbar nach Luft. «Stimmt das etwa?», fragte sie und sah zum Vergleich auf ihre Armbanduhr. «Ich sollte Tessa schon vor einer Viertelstunde zum Lunch treffen.»
    Nelly sah auf ihre Uhr. «So spät? Es ist doch schon bald Abendbrotszeit.»
    «Anders konnte ich nicht», sagte Sara und sammelte
    Krankenblätter zusammen. Sie stieß gegen den Eingangskorb, der endgültig zusammenbrach, und ein Haufen Papier fiel zu
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    Boden.
    «Mist», zischte Sara.
    Nelly wollte helfen, aber Sara hielt sie davon ab. Nicht nur dass sie es ungern sah, wenn andere Leute die Unordnung beseitigten, die sie angerichtet hatte; sollte Nelly es tatsächlich schaffen, auf die Knie zu sinken, käme sie zweifellos ohne intensive Hilfe nicht wieder hoch.
    «Ich hab's schon», sagte Sara zu ihr, raffte den ganzen Stapel zusammen und ließ ihn auf den Schreibtisch fallen. «War sonst noch etwas?»
    Nelly lächelte sie an. «Chief Tolliver wartet auf Leitung drei.»
    Sara lehnte sich in der Hocke zurück und verspürte eine böse Ahnung. Sie nahm in der Stadt zwei Pflichten wahr, als Kinderärztin und Coroner, und Jeffrey Tolliver, ihr Exmann, war der Polizeichef. Es gab nur zwei Gründe für ihn, Sara mitten am Tag anzurufen, und von denen war keiner sonderlich angenehm.
    Sara stand auf und griff nach dem Telefon, bereit, Nachsicht walten zu lassen. «Ich kann nur hoffen, dass jemand tot ist.»
    Jeffreys Stimme war verzerrt, und sie nahm an, dass er sein Hand y benutzte. «Da muss ich dich leider enttäuschen», sagte er, und dann: «Ich häng schon zehn Minuten in der Leitung.
    Wenn das jetzt ein Notfall gewesen wäre?»
    Sara machte sich daran, Papiere in ihrer Aktentasche zu verstauen. Es war ungeschriebenes Klinik-Gesetz, Jeffrey stets erst durch brennende Reifen springen zu lassen, bevor man ihn mit Sara telefonieren ließ. Sie war richtig überrascht, dass Nelly daran gedacht hatte, ihr zu sagen, dass er in der Leitung war.
    «Sara?»
    Sie schaute zur Tür und murmelte: «Ich sollte längst weg sein.»
    «Was?», fragte er. Seine Stimme hatte ein leichtes Echo im
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    Handy.
    «Ich hab gesagt, dass du immer jemanden vorbeischickst, wenn ein Notfall vorliegt», log sie. «Wo bist du?»
    «Im College», antwortete er. «Ich warte auf die
    Hilfswauwaus.»
    Er benutzte ihren gemeinsamen Ausdruck für die Wachleute an der Grant Tech, der Staatsuniversität im Stadtzentrum.
    Sie fragte: «Und was gibt's?»
    «Ich wollte nur mal fragen, wie es dir geht.»
    «Prima», schnauzte sie, zog die Papiere wieder aus der Aktentasche und fragte sich, wieso sie sie überhaupt erst eingepackt hatte. Sie blätterte ein paar Karteikarten durch und schob sie dann wieder in eine Seitentasche.
    Sie sagte: «Ich komm schon jetzt zu spät zum Lunch mit Tess.
    Was kann ich für dich tun?»
    Offenbar brüskiert von ihrem schroffen Ton, sagte er: «Du sahst gestern etwas abgelenkt aus. In der Kirche.»
    «Ich war aber nicht abgelenkt», flüsterte sie und ging ihre Post durch. Beim Anblick einer Postkarte hielt sie inne, und ihr Körper erstarrte. Auf der Vorderseite der Karte war ein Bild von Saras Alma Mater, der Emory University in Atlanta, zu sehen.
    Neben ihrer Adresse in der Kinderklinik standen auf der Rückseite die mit der Schreibmaschine getippten Worte
    «Warum hast du mich verlassen?».
    «Sara?»
    Sie brach in kalten Schweiß aus. «Ich muss Schluss machen.»
    «Sara, ich-»
    Sie legte auf, bevor Jeffrey seinen Satz beenden konnte, und stopfte drei weitere Krankenblätter zusammen mit der Postkarte in ihre Aktentasche. Sie schlüpfte zur Seitentür hinaus, ohne dass
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