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Belladonna

Belladonna

Titel: Belladonna
Autoren: Karin Slaughter
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Lintons seine Familie waren.
    «Okay?», fragte er.
    Sie nickte. «Geh nur. Sie braucht dich.»
    Jeffrey gab sich Mühe, darauf nicht einzugehen. Wäre Sara nicht Coroner des County, würde er sie nie zu Gesicht bekommen. Es sagte viel über ihre Beziehung aus, dass erst jemand sterben musste, damit sie sich mit ihm im selben Raum aufhielt.
    Als er in dem Lokal nach hinten ging, merkte er, dass
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    Beklommenheit in ihm aufstieg. Er wusste, dass eine Gewalttat geschehen war. Er wusste, dass man Sibyl Adams getötet hatte.
    Aber darüber hinaus hatte er nicht die geringste Ahnung, was ihn erwartete, als er die Tür zur Damentoilette mit einem Ruck öffnete. Was er sah, raubte ihm buchstäblich den Atem.
    Sara saß mitten im Raum, Sibyl Adams' Kopf auf dem Schoß.
    Überall war Blut, bedeckte den Leichnam, bedeckte Sara, deren Hemd und Hose von oben bis unten durchtränkt waren, als hätte jemand einen Schlauch genommen und sie mit Blut bespritzt.
    Blutige Schuh- und Handabdrücke hatten Spuren auf dem Fußboden hinterlassen, als sei es hier zu einem furchtbaren Kampf gekommen.
    Jeffrey stand in der Türöffnung, ließ alles auf sich wirken und rang nach Luft.
    «Mach bitte die Tür zu», flüsterte Sara, deren Hand auf Sibyls Stirn ruhte.
    Er tat wie geheißen und ging dann an den Wänden entlang einmal um den Raum. Sein Mund öffnete sich, aber kein Wort kam heraus. Es galt natürlich, die nahe liegenden Fragen zu stellen, aber ein Teil von Jeffrey wollte die Antworten gar nicht wissen. Ein Teil von ihm wollte Sara hinausbringen, sie in sein Auto setzen und mit ihr fahren, bis keiner von beiden sich mehr daran erinnern konnte, wie dieser winzige Toilettenraum aussah und roch. Der morbide Geschmack von Gewalt lag in der Luft, fast greifbar und klebrig saß er in seiner Kehle. Allein schon weil er dort stand, kam er sich beschmutzt vor.
    «Sie sieht aus wie Lena», sagte er schließlich. Damit meinte er Sibyl Adams' Zwillingsschwester, die in seiner Truppe Detective war. «Eine Sekunde lang dachte ich schon...» Er schüttelte den Kopf, konnte nicht fortfahren.
    «Lena hat längere Haare.»
    «Yeah», sagte er, unfähig, den Blick vom Opfer zu wenden.
    Jeffrey hatte im Laufe der Zeit eine Menge furchtbarer Dinge
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    gesehen, aber noch nie das Opfer eines Gewaltverbrechens persönlich gekannt. Nicht dass er Sibyl Adams gut gekannt hatte, aber in einer so kleinen Stadt wie Heartsdale waren alle Leute Nachbarn.
    Sara räusperte sich. «Hast du es Lena schon gesagt?»
    Ihre Frage traf ihn wie ein Hammer. Nach zwei Wochen im Amt als Polizeichef hatte er Lena Adams direkt von der Akademie in Macon eingestellt. In jenen ersten Tagen war sie wie Jeffrey ein Außenseiter. Acht Jahre später hatte er sie zum Detective befördert. Mit dreiunddreißig Jahren war sie der jüngste Detective und zudem die einzige Frau unter den höheren Beamten. Und jetzt war ihre Schwester gleichsam auf ihrem Hinterhof ermordet worden, wenig mehr als zweihundert Meter vom Polizeirevier entfernt. Das Gefühl, auf irgendeine Weise persönlich dafür verantwortlich zu sein, raubte ihm fast die Luft.
    «Jeffrey?»
    Jeffrey atmete tief ein und langsam wieder aus. «Sie bringt gerade Beweismittel nach Macon», antwortete er schließlich.
    «Ich hab die Highway-Streife angerufen und darum gebeten, dass man sie herschickt.»
    Sara sah ihn an. Ihre Augen waren rot gerändert, aber sie hatte nicht geweint. Darüber war Jeffrey besonders froh, denn er hatte Sara auch noch nie weinen gesehen. Er dachte, wenn er sie weinen sähe, würde auch er schlapp machen.
    «Wusstest du, dass sie blind war?», fragte sie.
    Jeffrey lehnte sich gegen die Wand. Irgendwie hatte er diesen Umstand vergessen. «Sie hat es nicht einmal kommen sehen», flüsterte Sara. Sie senkte den Kopf und sah auf Sibyl hinab. Wie gewöhnlich konnte sich Jeffrey nicht vorstellen, was Sara dachte. Er beschloss zu warten, bis sie sprach. Offenbar brauchte sie eine Weile, um ihre Gedanken zu sammeln.
    Er vergrub die Hände in den Taschen und nahm die Szenerie in sich auf. Da gab es zwei Kabinen mit Holztüren gegenüber
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    einem so alten Waschbecken, dass die Hähne für heißes und kaltes Wasser auf gegenüberliegenden Seiten des Beckens angebracht waren. Darüber hing ein golden gesprenkelter Spiegel, der an den Rändern bereits abgeblättert war. Insgesamt war der Raum unter zehn Quadratmeter groß, und die winzigen schwarzen und weißen Kacheln auf dem Boden ließen ihn sogar noch
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