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Beiss nicht in die Sonne

Beiss nicht in die Sonne

Titel: Beiss nicht in die Sonne
Autoren: Tanith Lee
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sah in­su­matt aus. Dann kam die al­te Wei­se von un­se­rem Stamm in ih­ren Ket­ten her­an­ge­schlurft, die ar­me Al­te, und nahm mich bei­sei­te.
    „Du mußt ihn tö­ten“, sag­te sie oh­ne Um­schwei­fe.
    „Wie?“ frag­te ich. Ich war nicht son­der­lich über­rascht. Ich mei­ne, hier in der Wüs­te wird man da­zu er­zo­gen, wild und tap­fer (wie üb­lich) zu sein.
    „Mit dei­nem Mes­ser“, sag­te die wei­se Frau. „Hier, ich ha­be es für dich ge­ret­tet, als wir über­fal­len wur­den.“
    Da war sie, die töd­li­che Klin­ge mit dem Kno­chen­griff, die ich von mei­nem Er­zeu­ger als Kind be­kom­men hat­te. Ich strich sanft dar­über und ver­sprach, den schreck­li­chen Häupt­ling zu tö­ten – es soll­te das Si­gnal für mein Volk sein, los­zu­bre­chen und den be­stürz­ten, füh­rer­lo­sen Feind zu über­wäl­ti­gen – oder aber bei dem Ver­such um­zu­kom­men. Na­tür­lich wür­de ich mich hoff­nungs­los in ihn ver­lie­ben und nicht im­stan­de sein, ihn um­zu­brin­gen, und er wür­de sich in mich ver­lie­ben und nicht im­stan­de sein, mich zu be­stra­fen, und dann wür­den sich un­se­re Stäm­me gleich­be­rech­tigt ver­ei­nen, und al­les wür­de de­ri­sann wer­den. Aber ir­gend et­was lief falsch.
    Zu An­fang war al­les in Ord­nung. Ich ging hin­aus, mein Mes­ser in der schar­lach­ro­ten Schär­pe ver­bor­gen, und schritt zwi­schen den La­ger­feu­ern auf sein herr­schaft­li­ches Zelt zu, strah­lend vor Stolz und Schön­heit. Skla­ven hiel­ten die Zelt­bah­nen für mich hoch, und ich ging in den bläu­lich schim­mern­den Weih­rauch­ne­bel und den düs­te­ren Schein der Fa­ckeln hin­ein. Dort saß er, dun­kel­häu­tig, schwarz­haa­rig und wun­der­bar, die Trom­meln setz­ten ein, die dün­nen Flö­ten, die Zim­beln, ge­trock­ne­te Kräu­ter wur­den in Ton­scha­len ge­schüt­tet und an­ge­zün­det, ich wur­de ganz ru­hig und be­gann einen lang­sa­men, sinn­li­chen Tanz, da­zu be­stimmt, die An­we­sen­den zu hyp­no­ti­sie­ren. Die Mu­sik wur­de schnel­ler und schnel­ler, ich wir­bel­te und dreh­te mich, und dann riß ich mein Mes­ser her­aus und sprang auf ihn zu. Und blieb kurz vor ihm ste­hen. Das war zwar auch vor­ge­se­hen, aber aus ei­nem an­de­ren Grund. Ich soll­te auf­grund sei­ner Schön­heit in­ne­hal­ten, aber ich hielt tat­säch­lich in­ne, weil dort auf dem ge­pols­ter­ten Stuhl ein rie­si­ger, be­pelz­ter Ski­fuß saß und leicht mit den Oh­ren we­del­te.
    Ich schrie auf und ließ mein Mes­ser fal­len.
    „Nimm et­was Kak­tus-Ana­nas“, bot der Ski­fuß an und deu­te­te auf ei­ne Sil­ber­scha­le. „Na, na, sei nicht dumm“, krächz­te er, als ich zu­rück­wich. „Ich has­se Schüch­tern­heit.“
    Wild blick­te ich mich um und stell­te fest, daß das gan­ze Zelt sich ver­än­dert hat­te und nun­mehr vol­ler lä­cher­li­cher We­sen mit Fell und Fe­dern, lan­gen Oh­ren und zit­tern­den Schnurr­haa­ren, klei­nen, zu­cken­den Na­sen, Hör­nern, An­ten­nen und ver­schie­de­nen Schwän­zen war, die al­le er­mun­ternd auf mich ein­quak­ten, grunz­ten, gluck­ten. Ich setz­te mich, wenn auch nur, weil mir die Knie weich wur­den.
    „So ist es doch viel ge­müt­li­cher“, sag­te der Ski­fuß. „Aber nun sag mir, warum ver­suchst du, mich zu tö­ten? We­gen un­se­res Über­falls?“
    „Ihr habt uns ver­sklavt“, ver­such­te ich mei­nen vor­be­rei­te­ten Dia­log an den Mann zu brin­gen, aber er sah wirk­lich so ernst und pel­zig und teil­nahms­voll aus. Ich ki­cher­te hys­te­risch.
    „Oje­mi­ne, sie ist hys­te­risch“, be­merk­te ein großer, ge­fie­der­ter Dra­che zu mei­ner Lin­ken.
    „Trink et­was Wein“, sag­te der Ski­fuß, „da­nach wirst du dich bes­ser füh­len“, und griff zu ei­nem Bei­stell­tisch­chen. Aber der Tisch hat­te sei­ne ei­ge­nen Vor­stel­lun­gen. Er klapp­te vier pel­zi­ge Bei­ne aus und mar­schier­te ru­hig aus dem Zelt, wäh­rend Wein und Spei­sen lus­tig auf ihm her­um­hüpf­ten.
    „Hal­tet ihn“, rief der Ski­fuß, und die ver­sam­mel­te Ge­sell­schaft mach­te sich auf die Jagd, quiet­schend, brum­mend, wech­sel­sei­tig über die Schwän­ze stol­pernd und sich da­für ent­schul­di­gend. „Komm mit“,
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