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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman
Autoren: Eva Voeller
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beißen.«
    In diesem Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck auf geradezu spektakuläre Weise. Er lächelte, und dieses Lächeln traf mich so unmittelbar und unerwartet, dass mir buchstäblich der Atem stockte. Sah er bereits mit frustriertem Gesicht unglaublich gut aus, so war er, wenn er lächelte, schlichtweg überwältigend. In seiner rechten Wange blitzte ein winziges Grübchen auf, und seine Zähne waren strahlend weiß und, soweit ich es auf den ersten Blick als Zahnarztfrau (oder besser: Ex-Zahnarztfrau – hierzu gleich mehr!) beurteilen konnte, ohne Fehl und Tadel.
    Doch es gab schließlich nicht nur die für jedermann sichtbaren Defekte, sondern auch solche verborgenen Abscheulichkeiten wie entzündete Wurzeln, vereiterte Weisheitszähne, akut hervorbrechende Fisteln und dergleichen unerfreuliche Befunde mehr, die zu erkennen es des Auges eines Fachmannes bedurfte, der mehr davon verstand als ich.
    Die Bereitwilligkeit, mit welcher der Mann im dunklen Kaschmirmantel mir zum Eingang folgte, war bemerkenswert, vor allem, wenn man berücksichtigte, wie stocksteif er die ganze Zeit draußen gestanden hatte. Ich erinnere mich, wie irritiert ich deswegen war, doch dann machte er abermals den Mund auf, diesmal nicht, um zu lächeln, sondern um mit mir zu sprechen, und das Gefühl, das seine Stimme in mir auslöste, brachte das leichte Befremden darüber, wie eilig er es plötzlich hatte, ins Haus zu gehen, im Nu zum Verschwinden.
    »Danke für die Einladung«, sagte er, und das Timbre seiner dunklen Stimme brachte etliche Nerven in mir zum Vibrieren, die auf verschiedenen Wegen direkt in meinem Unterleib zu münden schienen. Seit Wochen – ach was, seit Monaten – hatte ich dergleichen nicht mehr gespürt. Und das nach nur einem einzigen dürftigen Satz, der nicht mal tendenziös sexuelle Anspielungen enthielt.
    Zweifelnd schaute ich zu ihm hoch, um zu ergründen, welche Art von Einladung er meinte, doch seine Miene war undeutbar, und das Lächeln war auch verschwunden.
    Ich zuckte die Achseln und stieß die Tür zur Praxis auf.
    Rainer praktizierte seit drei Jahren in diesem noblen Villenvorort am Fuße des Taunus, in einem aufwendig restaurierten Jugendstilgebäude, das ihm gehörte. Schuldenfrei, nach meinen neuesten Informationen. Die beiden Stockwerke im Obergeschoss waren überdies zu horrenden Preisen vermietet. Jedes Mal, wenn ich Rainer traf, brach er in Wehgeheul aus, wie teuer die Praxis im Unterhalt sei, wie brutal ihn das Finanzamt abzockte, wie erbarmungslos der Aderlass aufgrund himmelschreiender Vorschriften über Lohnfortzahlung und Mutterschutz sein Portefeuille ausblutete, wie niederschmetternd sein letzter Einkommensteuerbescheid ausgefallen sei. Doch ich glaubte ihm kein Wort. Nicht, seitdem ich seine neue Flamme in einem Porsche Boxter durch Frankfurt hatte kurven sehen.
    Der Anmeldeschalter im Wartezimmer war nicht besetzt. Von dem halben Dutzend weiß bekittelter Schönheiten, die unter der Woche den zahnärztlichen Chrom-, Glas- und Marmorpalast bevölkerten und elfengleich zwischen Büro, Labor und den drei technisch hochgerüsteten Behandlungszimmern umherschwebten, war während des Notdienstes höchstens eine vor Ort. Und die hielt vermutlich gerade an einem der Behandlungsstühle für meinen Ex den Sauger, denn von nebenan ertönte das hässliche Pfeifgeräusch des Bohrers. Und dann, gleich darauf, ein schmerzvolles Stöhnen, das von gelegentlichen unartikulierten Grunzlauten unterbrochen wurde, die von folterähnlichen Qualen kündeten. Die Türen standen selbstverständlich offen, damit Neuzugänge nicht überhört wurden. Dasselbe galt umgekehrt leider auch für die bereits in Behandlung befindlichen Notfälle. Vor allem für den, der gerade an der Reihe war und sich anhörte, als würde er langsam, aber sicher mit dem Bohrer zu Tode gefoltert. Kein guter Auftakt für einen Zahnarztbesuch!
    Ein rascher Seitenblick zu Mister Kaschmir überzeugte mich, dass er nicht im Begriff war, die Flucht zu ergreifen. Stattdessen trat er hinter mich und half mir galant aus der Jacke. Dabei berührten seine Finger meinen Hals. Ein unbeschreibliches Gefühl durchströmte mich, das noch stärker wurde, als ich den schwachen Hauch seines Atems auf der Haut meines Nackens spürte.
    »Gestatten Sie?«, fragte er zuvorkommend. Diese Stimme! Voll, dunkel, rau und dabei doch so sanft, dass einem Schauer über den Rücken liefen!
    Gestatten Sie!
    Ich hätte ihm alles Mögliche gestattet, wenn er
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