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Beiss mich - Roman

Beiss mich - Roman

Titel: Beiss mich - Roman
Autoren: Eva Voeller
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und komme als Nächste dran. Der Herr hier war nach mir da.«
    Ich hatte nicht angerufen, und sie wusste es ganz genau. Hätte ich angerufen, wären mindestens zehn Notfallpatienten vorgeschützt worden, rein prophylaktisch, bloß, damit Rainer nicht in die Verlegenheit käme, mir in die Augen sehen zu müssen.
    »Wir sind in fünf Minuten so weit, Frau Doktor von Stratmann«, sagte Sonja-Anja-Tanja süßlich wie immer und verschwand nach nebenan. Sie würde es nie lernen. Ich hatte ihr schon bei meinem letzten Besuch erklärt, dass niemand durch Heirat zur Frau Doktor wurde. Rainer war der Doktor, nicht ich. Ich war bloß seine Ehefrau, und jetzt nicht mal mehr das. Doch Sonja-Anja-Tanja nannte mich mit gleichbleibender Beflissenheit weiterhin Frau Doktor, als sei die Tatsache, dass ich in einem Anfall von geistiger Umnachtung und unentschuldbarer Adelsgeilheit bei der Eheschließung Rainers Nachnamen angenommen hatte, ein ausreichender Grund, mich für alle Zeiten akademisch aufzuhübschen.
    Mister Kaschmir war in seine Zeitung vertieft. Es schien ihn nicht zu stören, dass ich mich vordrängte.
    Müßig blätterte ich die Zeitung bis zum Lokalteil durch und überflog die einzelnen Meldungen. Am Vortag war ich nicht dazu gekommen, die Zeitung fertig zu lesen, oder besser: Ich hatte keine Lust dazu gehabt. Wie an jedem Samstag hatte ich akribisch den wöchentlichen Stellenmarkt nach Angeboten durchforstet, die für mich infrage kamen. Danach war mein Bedarf an publizistischen Erzeugnissen gedeckt, und ich hatte voller Frust die Zeitung zerknüllt und ins Altpapier befördert.
    Nicht, dass mir dabei viel entgangen wäre, wie ich beim Sichten der Titelzeilen feststellte. Die erste Seite des Regionalteils berichtete wie immer in der für dieses Blatt gewohnten reißerischen Aufmachung von aktuellen Unglücken, Unfällen und Untaten. Der übliche langweilige Kram, lauter Vorkommnisse, die sich tagtäglich und in kaum unterscheidbaren Variationen überall in der Stadt zutrugen. Frankfurt war seit vielen Jahren bundesweit und unangefochten die Hochburg des Verbrechens, und entsprechend blutrünstig fiel an manchen Wochenenden die Berichterstattung aus. Ich wollte schon zum Feuilleton weiterblättern, als mein Blick unwillkürlich an einer Titelzeile hängen blieb, die aus unerfindlichen Gründen mein Interesse wachrief.
    Erneuter Diebstahl von Blutkonserven stellt Polizei vor ein Rätsel.
    Mal was anderes, dachte ich. Welcher Irre klaute Blut?
    Aus dem Behandlungszimmer nebenan ertönte eine wahre Stöhnorgie, untermalt von dem schrillen elektronischen Heulen des Bohrers.
    Gleich darauf grunzte das bedauernswerte Individuum im Stuhl mit erbarmungswürdiger Inbrunst. Wahrscheinlich hatte der Patient auf eine Betäubungsspritze verzichtet. Es gab immer wieder Typen, die Todesangst vor einer kleinen Spritze hatten und sich deshalb lieber bei vollem Schmerzempfinden Löcher von der Größe eines durchschnittlichen Mondkraters bis hinab zum Wurzelkanal bohren ließen.
    »Nur ein bisschen noch! Nicht zumachen!«, flötete Sonja-Anja-Tanja.
    Der bedauernswerte Mensch im Behandlungsstuhl fing an zu wimmern.
    Hätte ich selbst einer Behandlung entgegengesehen, wäre ich vermutlich in hypnotische Angststarre verfallen, doch meine bevorstehende Zusammenkunft mit Rainer verfolgte andere Ziele, weshalb ich mich auch ungerührt der Lektüre des Polizeiberichts widmete.
    Wie bereits zwei Mal in den beiden vergangenen Monaten, sind auch am letzten Wochenende wieder unter rätselhaften Umständen mehrere Blutbeutel aus dem Depot einer Klinik verschwunden. Betroffen war diesmal das Helenenhospital im Stadtteil P. Auch in diesem jüngsten Fall wurde kein Plasma entwendet, sondern Frischblutkonserven, die nach Ansicht von Experten ausreichend gegen Diebstahl gesichert waren. Derzeit gibt es keine Anhaltspunkte, wie es dem oder den Täter(n) gelingen konnte, die durch ein Kombinationsschloss gesicherte Kühlanlage aufzubrechen. Die Klinikleitung tritt Mutmaßungen, dass der oder die Täter aus dem Umfeld des Krankenhauspersonals stammen könnten, weiterhin entgegen.
    Die Kriminalpolizei möchte sich zu etwaigen Ergebnissen der Spurensicherung bisher nicht äußern, insbesondere ein Zusammenhang zwischen diesen Fällen von Blutdiebstahl und dem Auffinden ausgebluteter Pferdekadaver (unser Bericht vom 10.12.) kann offiziell von Behördenseite nicht bestätigt werden. Erkenntnisse über den oder die Täter liegen zurzeit nicht vor. Das
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