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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester
Autoren: Jodi Picoult
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Fahrerin vom Pick-up ist durch die Scheibe geflogen«, brüllt er. »Caesar hat sie im ersten Rettungswagen. Im Pkw sind zwei Leute drin, soweit ich sehen kann, aber beide Türen klemmen.«
    Â»Mal sehen, ob ich vom Pick-up aus an sie rankomme.« Ich klettere auf die mit Glassplittern übersäte Ladefläche, rutsche auf dem glatten Blech mit dem Fuß in ein Loch, das ich nicht gesehen habe, und ziehe ihn fluchend wieder heraus. Ganz vorsichtig schiebe ich mich durch das geborstene Heckfenster in das eingequetschte Fahrerhaus des Pickups. Die Fahrerin ist anscheinend durch die Windschutzscheibe über den kleinen BMW hinweggeflogen; die gesamte Front des Ford-150 hat sich in die Beifahrerseite des Sportwagens gebohrt, als wäre er aus Pappe.
    Ich muß über die Reste der Motorhaube des Pick-ups kriechen, weil der Motorblock zwischen mir und den Insassen des BMW ist. Aber wenn ich mich in einem bestimmten Winkel drehe, kann ich mich in eine enge Lücke zwängen, durch die ich bis an das Sicherheitsglas gelange, das wie ein Spinnennetz gesprungen und blutverschmiert ist. Und genau in dem Moment, als Red endlich die Fahrertür mit der Zange aufbekommt und ein winselnder Hund herausspringt, erkenne ich das Gesicht, das auf der anderen Seite gegen die Scheibe gepreßt ist: Es ist Anna.
    Â»Hol sie raus«, schreie ich, »hol sie sofort raus!« Ich weiß nicht, wie ich es so schnell wieder aus dem verbogenen Wrack hinausschaffe, um Red aus dem Weg zu stoßen; ich weiß nicht, wie ich Campbell Alexander aus seinem Sicherheitsgurt befreie und ihn dann raus auf die Straße ziehe, wo ich ihn in dem prasselnden Regen ablege; wie ich wieder hineingreife, nach meiner Tochter, die reglos und mit aufgerissenen Augen da sitzt, angeschnallt, wie sie es sein sollte, und großer Gott, nein.
    Paulie ist plötzlich da und macht sich an ihr zu schaffen, und bevor ich eigentlich weiß, was ich tue, verpasse ich ihm eine, daß er der Länge nach hinschlägt. »Scheiße, Brian«, sagt er und hält sich das Kinn.
    Â»Es ist Anna, Paulie, es ist Anna.«
    Als sie es begreifen, versuchen sie, mich zurückzuhalten und mir diese Arbeit abzunehmen, aber sie ist doch meine Kleine, und ich lasse es nicht zu. Ich lege sie auf eine Trage und schnalle sie fest, und dann schieben sie sie in den Rettungswagen. Ich hebe ihr Kinn, um sie zu intubieren, doch dann sehe ich die kleine Narbe, die sie von ihrem Sturz auf Jesses Schlittschuh zurückbehalten hat, und ich verliere die Fassung. Red schiebt mich beiseite und macht es für mich, dann tastet er nach ihrem Puls. »Er ist schwach, Captain«, sagt er, »aber er ist da.«
    Er legt ihr einen Tropf, während ich das Funkgerät nehme und unsere geschätzte Ankunftszeit durchgebe. »Dreizehnjährige, Verkehrsunfall, schwere Kopfverletzungen –« Als der Herzmonitor plötzlich Nullinie zeigt, lasse ich den Hörer fallen und reanimiere. »Hol die Paddles«, befehle ich und reiße Annas Bluse auf, durchschneide den Spitzen-BH, den sie sich so gewünscht hat, aber noch gar nicht braucht. Red defibrilliert sie, und ihr Puls kommt zurück, Bradykardie mit ventrikulären Extrasystolen.
    Wir bebeuteln sie und legen einen venösen Zugang. Paulie rast mit quietschenden Reifen auf die Haltezone für die Rettungswagen und reißt die Hecktüren auf. Anna liegt reglos auf der Trage. Red packt meinen Arm und drückt fest zu. »Denk nicht drüber nach«, sagt er, dann nimmt er das Kopfende von Annas Trage und schafft sie in die Notaufnahme.
    Sie wollen mich nicht in den Schockraum lassen. Nach und nach trudeln mehr Kollegen ein, um mich psychisch zu unterstützen. Einer von ihnen geht nach oben und holt Sara, die völlig panisch eintrifft. »Wo ist sie? Was ist passiert?«
    Â»Ein Autounfall«, bringe ich heraus. »Ich wußte nicht, daß sie es ist, bis ich sie gesehen habe.« Tränen steigen mir in die Augen. Soll ich ihr sagen, daß sie nicht selbständig atmet? Soll ich ihr sagen, daß das EKG eine Nullinie zeigte? Soll ich ihr sagen, daß ich die letzten paar Minuten damit verbracht habe, alles, aber auch alles in Frage zu stellen, was ich während dieses Einsatzes getan habe, von dem Augenblick an, als ich über den Pick-up gekrochen bin, bis zu dem Moment, als ich sie aus dem Wrack zog, weil ich Angst habe, daß meine Gefühle das, was getan werden
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