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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester
Autoren: Jodi Picoult
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»Und trotzdem hat es hier drin jede Menge Platz.«
    Ich drehe mich zu Richter DeSalvo um. »Ich wollte diese Verhandlung nicht, aber es gab keinen anderen Weg. Das Gesetz verlangt, daß ein solcher Antrag – selbst wenn er von dem eigenen Kind gestellt wird – erwidert wird. Und deshalb war ich dazu gezwungen, möglichst einleuchtend zu erklären, warum ich glaube, daß ich besser als Anna weiß, was gut für sie ist. Aber es ist gar nicht so leicht, anderen zu erklären, was man glaubt. Wenn man sagt, daß man glaubt , etwas sei richtig, kann das zweierlei bedeuten – daß man noch immer dabei ist, die Alternativen abzuwägen, oder daß man es als Tatsache akzeptiert hat. Rein logisch verstehe ich nicht, wieso ein und dasselbe Wort so gegensätzliche Bedeutungen haben kann, aber emotional kann ich das absolut nachvollziehen. Weil es nämlich manchmal so ist, daß ich glaube, richtig zu handeln, und dann wiederum kommt es vor, daß ich bei jeder kleinen Entscheidung unsicher bin.
    Selbst wenn das Gericht heute in meinem Sinne entscheidet, könnte ich Anna nicht zwingen, eine Niere zu spenden. Das könnte niemand. Aber würde ich sie darum bitten? Würde ich es wollen, selbst wenn ich mich zurückhielte? Ich weiß es nicht, auch nicht, nachdem ich mit Kate gesprochen und Anna zugehört habe. Ich bin nicht sicher, was ich glauben soll. Ich war es nie. Nur zwei Dinge weiß ich mit Sicherheit: Daß es in dieser Verhandlung eigentlich nicht um die Nierenspende geht … sondern darum, selbst entscheiden zu können. Und daß kein Mensch je völlig unabhängig entscheiden kann, auch dann nicht, wenn ein Richter ihm das Recht dazu gibt.«
    Zum Schluß sehe ich Campbell an. »Vor langer Zeit war ich mal Anwältin. Aber ich bin es nicht mehr. Ich bin Mutter, und das, was ich während der letzten achtzehn Jahre in dieser Eigenschaft getan habe, ist schwieriger als alles, was ich je in einem Gerichtssaal tun mußte. Mr. Alexander, zu Beginn dieser Anhörung haben Sie gesagt, daß niemand verpflichtet ist, in ein brennendes Gebäude zu laufen, um einen anderen aus dem Feuer zu retten. Aber das ändert sich schlagartig, sobald man Vater oder Mutter geworden ist und der Mensch in dem brennenden Gebäude das eigene Kind ist. In diesem Fall würde nicht nur jeder verstehen, wenn man hineinliefe, um sein Kind rauszuholen – alle würden es erwarten.«
    Ich hole tief Luft. »In meinem Leben gab es auch so ein brennendes Haus, und eines meiner Kinder war darin – aber die einzige Möglichkeit, es zu retten, war die, meine zweite Tochter hineinzuschicken, weil nur sie den Weg kannte. Ja, ich wußte, daß es gefährlich ist. Ja, mir war klar, daß ich sie möglicherweise beide verlieren könnte. Ja, ich sehe ein, daß es vielleicht nicht fair war, sie darum zu bitten. Aber ich wußte auch, daß es die einzige Chance war, sie beide zu behalten. War es legal? War es moralisch vertretbar? War es verrückt oder töricht oder grausam? Ich weiß es nicht. Aber eines weiß ich: Es war richtig.«
    Ich bin fertig und nehme wieder an meinem Tisch Platz. Der Regen prasselt gegen die Fenster rechts von mir. Ich frage mich, ob er je wieder aufhört.
    CAMPBELL
    Ich stehe auf, blicke auf meine Notizen und mache es wie Sara – ich werfe sie in den Mülleimer.
    Â»Wie Mrs. Fitzgerald gerade gesagt hat, geht es in dieser Anhörung nicht um Annas Nierenspende. Es geht auch nicht darum, daß sie eine Hautzelle spendet, eine einzige Blutzelle, eine DNA-Kette. Es geht um ein Mädchen, das dreizehn Jahre alt ist – und das ist anstrengend und schmerzhaft und wunderbar und schwierig und lustig. Es geht um Anna, die vielleicht noch nicht weiß, was sie will und wer sie ist, die aber die Chance verdient hat, es herauszufinden. Und meiner Meinung nach wird sie in zehn Jahren ziemlich umwerfend sein.«
    Ich gehe auf den Richter zu. »Wir wissen, daß von den Fitzgeralds Unmögliches verlangt wurde – nämlich informierte Behandlungsentscheidungen für ihre beiden Kinder zu treffen, die aber gegenläufige medizinische Interessen hatten. Und wenn wir – wie die Fitzgeralds – nicht wissen, welche Entscheidung richtig ist, dann sollte der Mensch das letzte Wort haben, um dessen Körper es geht … auch wenn es sich dabei um eine Dreizehnjährige handelt. Und letzten
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