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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders
Autoren: Rainer Dresen
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30-Jährige immer antriebsschwächer und dicker geworden war und sich Kuchen und Süßspeisen zugewandt hatte, bis sie ein Buch über Yoga entdeckte, das ihr Leben verändern sollte: Die dort vorgestellten Übungen mit lustigen Bezeichnungen wie Blume, Brunnen, Kobra, Pflug und Pumpe machten die einst hüftschwere
Helge zur kummerspeckfreien Kareen. Diese Erkenntnis wollte sie nicht für sich behalten, sondern verkündete die frohe Botschaft der Welt. Anfangs nur dem kanadischen Teil, später dann machte sich die mit einem patenten Doris-Day-Charme gesegnete Pionierin der yogischen Bewegungsübung für ein paar Jahre auch hierzulande ans Mütter-Genesungs-Werk. Unter ihrer Anleitung strafften sich landesweit Schenkel, hoben sich Hüften, wurden die Milz massiert und die Leber liebkost, der Nacken gestärkt und zu groß geratene Brüste wieder klein.
    Zwar warfen ihr die damals noch selten anzutreffenden Hardcore-Yogis vor, das uralte indische Yoga auf ein Trimm-dich-Programm reduziert zu haben, dem traditionelle Yoga-Bestandteile wie Meditation und richtiges Atmen völlig fehlten. Das minderte ihren Erfolg aber in keiner Weise. Das weibliche Publikum war beeindruckt von Frau Zebroffs Bekundung, seit ihrem Erweckungserlebnis keine wache Minute ihres Lebens mehr ohne Übung verbracht zu haben. Sie balanciere seitdem beim Telefonieren auf einem Fuß und lege beim Zähneputzen ein Bein auf dem Heizkörper ab. Beim Abendessen versuche sie, ihrem Mann gegenüberzusitzen und ihre Beine zwischen seinen Schenkeln auszustrecken. Und das Warten im Auto vor der roten Ampel verkürzte sie dem Vernehmen nach wahlweise mit gezielter Anspannung der Gesichts- oder der Beckenbodenmuskulatur.
    So oder zumindest so ähnlich wollte Mama also auch werden, Papa und wir Kinder ahnten zum Glück nichts davon, wir schauten dem ganzen Treiben wenn überhaupt dann eher ratlos zu und hofften, dass sich das Ganze irgendwann erledigen würde. Drei Jahre später war es dann so weit, die Sendung wurde abgesetzt.Von der Vorturnerin blieben einige noch heute in gut sortierten Antiquariaten erhältliche Yoga-Bücher und das lange zementiert scheinende
Vorurteil bei Männern meiner Generation, dass Yoga kraft behördlicher Anordnung in lila Sportkleidung und zwingend spaß- und erotikfrei zu praktizieren ist.Von da an wurde Yoga für viele Jahre wieder still und heimlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit zelebriert und der nicht yogische Teil der Bevölkerung fand das auch gut so.

    So gingen die Jahre dahin, und die schnell abgeebbte Yoga-Begeisterung der 70er machte der pubertätsbedingt für mich definitiv spannenderen und prägenderen Aerobic-Welle Platz, die Anfang der 1980er-Jahre Deutschland erfasste. Jane Fonda und vor allem Sydne Rome waren auch in den deutschen Medien allgegenwärtig und brachten mehrere Videos zum Thema Aerobic auf den Markt. Sydne Rome versuchte sich sogar als Fernsehschauspielerin ( Das Erbe der Guldenburgs ), und ihr Markenzeichen Schmollmund, blonde Lockenmähne und kurzes Top mit Leggins und Stulpen ließ auch noch die letzte Rest-Erinnerung an Kareen Zebroff verblassen. Aerobic praktizierten zwar wie Yoga auch nur die Frauen, aber Mann sah ihnen, anders als beim Yoga, gerne dabei zu.

Als alles anders wurde
    Was mit der yogischen Bewegung in den 30 Jahren passierte, seit Frau Zebroff aus dem öffentlichen, zumindest aber aus meinem Bewusstsein verschwand, in welchen verborgenen Winkeln das sanfte yogische Pflänzchen weiter blühte, entzog sich meiner Kenntnis, ich hatte nichts davon mitbekommen. Dann schwappten Anfang der 90er-Jahre Bewegungsmethoden und Begrifflichkeiten wie „Power-“, „Fitness-“oder „Hatha-Yoga“von Kalifornien aus nach Europa und erreichten irgendwann Berlin-Mitte und Prenzlauer Berg, spätestens seit der Wiedervereinigung bekanntlich das Zentrum der deutschen Selbstfindung. Von da aus verbreitete sich die neue Yoga-Welle langsam aber sicher über die ganze wiedervereinigte Republik.

    Ab dem Jahr 2000 jedenfalls fielen mir bei meinen Berlinbesuchen immer häufiger interessante und attraktive Frauen der Generation Praktikum auf. Sie liefen tagsüber mit quer über die Schultern gelegten, köcherartigen Yoga-Matten-Hüllen in mehr bequem als elegant wirkenden Schuhen und mit festen, entschlossenen Schritten über die sandigen Gehwege des winterlich-grauen Berlins, offenbar auf dem Weg in eines der zahlreichen neu eröffneten Yoga-Studios. Ihre sonstige Freizeit, davon war ich überzeugt,
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