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Beifang

Titel: Beifang
Autoren: Ulrich Ritzel
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jetzt auf dem Rad eingeholt hatte. Lisbeth arbeitete als Krankenschwester im Städtischen Krankenhaus Ulm, war aber nach ihrer Heirat aus dem Schwesternheim ausgezogen und hatte in dem Haus neben Marianne und Otto eine Wohnung im Obergeschoss bezogen.
    Marianne richtete sich vom Lenker auf und gab sich Mühe, mit Lisbeth mitzuhalten. Es seien neue Leute zugewiesen worden, klagte sie, »aber eine zusätzliche Baracke kriegst du nirgendwo her...«
    »Sollen die anderen ein wenig zusammenrücken«, meinte Lisbeth. »Das geht alles. Und sonst?« Sie warf ihr von der Seite her einen prüfenden Blick zu, und Marianne antwortete ausweichend, sonst sei alles gut, gewiss doch, »und bei dir?«.
    »Ach!«, meinte Lisbeth. »Ich hab noch eine Flasche Wein, ein Geschenk von einer Patientin, wenn du Lust hast und dein Gemahl dich lässt, komm doch nachher rüber und trink ein Glas mit mir.«
     
    Otto war noch nicht zu Hause und würde so schnell auch nicht kommen, sonst hätte ihn Lisbeth im Zug oder am Bahnhof gesehen.
Sie hatten im Finanzamt in letzter Zeit oft solche Besprechungen, manchmal auch Sondereinsätze oder Sonderprüfungen, von denen Otto erst mit dem letzten Zug kam oder von einem Kollegen mit dem Dienstwagen gebracht wurde.
    Marianne stellte sich erst einmal vor den Waschtisch und wusch sich den Kalkstaub vom Leib, noch immer hatte ihre Regel nicht eingesetzt, wie viele Tage waren es nun schon über die Zeit? Zehn? Sie zog das grünblaue Sommerkleid an und ging hinüber zu Lisbeth, die schon auf sie wartete: Auf dem kleinen Tisch am Fenster standen die geöffnete Flasche Rotwein und zwei Gläser und dazu - als sei dies die Hauptperson am Tisch - die gerahmte Fotografie eines schwarzlockigen Mannes in dunkler Uniform, mit dem Abzeichen der Luftwaffe auf dem Kragenspiegel. Klaus-Peter sei jetzt vor der Krim eingesetzt, berichtete Lisbeth, als sie einschenk te, »sie sind da unten ziemlich bescheiden untergebracht, jede Menge Mücken, Flöhe und Läuse, und die russischen Weiber sind ziemliche Trampel...« Sie lachte. »Das klingt doch beruhigend, findest du nicht?« Sie hob das Glas und trank Marianne zu.
    Dann wollte sie wissen, wie es Otto gehe, und Marianne sagte, dass er noch immer auf seine Prothese warte. Solche Spezialanfertigungen bräuchten nun einmal ihre Zeit, meinte Lisbeth tröstend, und Marianne antwortete, dass sie das ihrem Mann auch immer sage. Aber weil sie nicht gerne über Ottos Unfall sprach, erkundigte sie sich rasch nach Lisbeths Tag in der Klinik ...
    »Ach«, sagte Lisbeth, »was glaubst du, wer alles zu uns kommt mit irgendwelchen Wehwehs, und wenn du genau hinhörst, geht es nur um ein Attest, damit man nicht zur Erntehilfe muss. Oder...« - sie schlug sich vor die Stirn - »... das war ja heute überhaupt der Gipfel! Du weißt doch, was wir hier im Ort für ein Heim haben, und stell dir vor - von den Leuten dort war jemand bei uns und hat sich als Krankenschwester aufgespielt! Eine Alte hatte sie dabei, die muss gegen einen Türpfosten gelaufen sein, jedenfalls hatte sie sich am Auge eine Platzwunde eingefangen. Es hat gerade noch gefehlt, dass diese angebliche Krankenschwester ›Kollegin‹ zu mir gesagt hat! Verstehst du, von diesen Leuten ist früher niemals jemand zu uns oder zu meinem Chef gekommen, oh nein! Die sind
nur zu ihren eigenen Ärzten gerannt, aber jetzt, jetzt tut das Auge weh, und auf einmal sind wir gut genug und sollen einen Spezialisten holen, einen Augenfacharzt...«
    Sie nahm die Flasche und wollte Lisbeth nachschenken, aber die hielt ihre Hand über das Glas.
    »Ach!«, rief Lisbeth, »was ist denn da im Busch?« Marianne sagte es ihr, und Lisbeth gratulierte und wollte nähere Details wissen und nahm einen kräftigen Schluck auf das Wohl dessen, was im Busch war. Dann erklärte sie Marianne, dass es seit dem Frühjahr neue Bestimmungen zum Schutz werdender Mütter gebe und dass sie sich unbedingt beim Gesundheitsamt danach erkundigen müsse.
    So sicher sei sie sich doch noch gar nicht, meinte Marianne, doch Lisbeth legte ihr geschwind die Hand auf den Arm und meinte, ganz gewiss werde es ein Junge, so blühend wie Marianne aussehe ...
    »Die Frau«, lenkte Marianne ab, »diese Alte, die bei euch war, was ist mit ihr passiert?«
    »Wen meinst du jetzt?«, fragte Lisbeth zurück. »Ach, diese Platzwunde! Wir haben sie weggeschickt. Die Dame möge sich an einen Heilkundigen ihrer eigenen Rasse wenden, hat mein Chef ausrichten lassen. Die Dame!, hat er
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