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Beifang

Titel: Beifang
Autoren: Ulrich Ritzel
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Toten also. Und wo haben Sie diese Fotografie gefunden?«
    »Auf dem Schreibtisch von Hauptmann Morny«, antwortete Kuttler und reichte die Fotografie zurück. »Sie lag da unter Schriftstücken und anderer Post.«
    »Sie sagen: unter anderer Post... Das klingt, als sei die Fotografie mit der Post gekommen?«
    »Das Foto ist im Kongresszentrum entstanden«, erklärte Kuttler. »An Silvester 2006... Bei einem Ball im Kongresszentrum, zu dem das Zweite Korps geladen hatte. Der Fotograf, der es gemacht hat, ist mit Herrn Morny befreundet oder bekannt und hat ihm einen Abzug geschickt.«
    Kuttler warf einen fragenden oder vielmehr: Einverständnis heischenden Blick zu dem Mann auf der Anklagebank. Ekkehard Morny nickte kaum merklich, ein wenig so, als sei ihm alles Fragen gleichgültig.
    »Schön.« Auch Eisholm nickte. »Aber warum haben Sie gerade dieser Fotografie Aufmerksamkeit geschenkt? So sehr, dass sie die Ehre bekam, den Akten hinzugefügt zu werden?«
    »Wegen der Goldkette. Offenbar ist sie ein Erbstück, und Frau Morny hat die Kette auch nach Silvester gelegentlich getragen, wie ihr Mann uns gesagt hat. Aber er konnte uns nicht erklären, wo sie abgeblieben ist.«
    »Ah ja«, meinte Eisholm, wandte sich halb ab und dann, unerwartet, mit einer plötzlichen Kehre, wieder zu Kuttler zurück. »Verstehe ich Sie richtig - diese Kette oder vielmehr: der Raub dieser Kette ist Ihnen als mögliches Tatmotiv erschienen?«
    »Wir haben das nicht ausgeschlossen.«
    »Ach? Und wann haben Sie begonnen, dieses Motiv nicht mehr gelten zu lassen?« Eisholms Stimme senkte sich. »Oder ist Ihnen von vorgesetzter Stelle nahegelegt worden, dem nicht länger nachzugehen?«

    »Bitte, Herr Verteidiger«, kam es von der Richterbank. Der Vorsitzende Richter Michael Veesendonk hatte eine angenehme, freundliche Stimme, die ohne Mühe durch den ganzen Saal trug. »Stellen Sie konkrete Fragen. Wenn Sie glauben, dass irgendjemand Einfluss auf die Ermittlungen genommen hätte, dann nennen Sie Ross und Reiter. Alles andere führt in die Irre.«
    Eisholm, die linke Hand leicht erhoben, als müsse er der Stimme des Richters nachlauschen, nickte.
    »Wenn ich dazu etwas sagen darf...«, meldete sich Kuttler zu Wort. »Wir haben mit großem Nachdruck versucht, den Verbleib der Kette zu klären. Es ist mit allen in Betracht kommenden Aufkäufern gesprochen worden. Mit wirklich allen. Mit Goldschmieden, Antiquitätenhändlern, mit den uns bekannten Hehlern.« Kuttler hob die Hände, die Handteller nach oben gekehrt. »Alles Fehlanzeige.«
    »Alles Fehlanzeige«, echote Eisholm. »Kann man nichts machen. Aber ich darf doch festhalten« - Eisholm blickte nach links, wo die Protokollführerin des Gerichtes saß -, »dass hier eine Frage, die in engem Zusammenhang mit dem Verbrechen steht, unbeantwortet geblieben ist. Ganz einfach unbeantwortet.« Er wandte sich wieder an Kuttler. »Gibt es vielleicht noch andere Fragen, die Sie nicht beantworten können?«
    »Herr Verteidiger!« Wieder hatte sich Veesendonk eingeschaltet. »Es gibt viele Fragen, die der Mensch nicht beantworten kann, und also auch der Herr Kuttler hier im Zeugenstand nicht. Wir Menschen wissen nicht einmal, warum das Universum besteht. Im Übrigen gibt sich dieser Zeuge alle Mühe, Ihre Fragen umfassend zu beantworten. Respektieren Sie das bitte.«
    Eisholm verbeugte sich wortlos, aber eine Spur zu tief. Für einen Augenblick herrschte Schweigen.
    »Es ist richtig, dass einige Fragen offen geblieben sind«, sagte Kuttler in die Stille hinein. »Wir wissen nicht, wo Frau Morny den Nachmittag und den Abend vor ihrem Tod verbracht hat. Wir wissen nur, dass sie am frühen Nachmittag eine Gruppe indischer Geistlicher durch die Klosteranlage Wiblingen geführt hat, dass sie ferner gegen sechzehn Uhr in Neu-Ulm ihren
Wagen aufgetankt hat und dass sie kurz vor Mitternacht nach Hause zurückgekehrt ist. Der Bordcomputer weist aus, dass mit dem Fahrzeug nach dem Tanken ungefähr einhundertvierundachtzig Kilometer zurückgelegt worden sind.«
    »Sie treten sehr bescheiden auf, finden Sie nicht?« Eisholm war dicht an Kuttler herangetreten.
    »Ich verstehe Sie nicht.«
    »Oder täusche ich mich? Sollten Sie ganz im Gegenteil nicht noch sehr viel mehr Bescheidenheit an den Tag legen, was das Ausmaß Ihres Unwissens betrifft?«
    »Herr Verteidiger!«, ertönte es vom Richtertisch. Der Vorsitzende Richter Michael Veesendonk hatte sich vorgebeugt, und seine Augen waren plötzlich sehr schmal
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