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Beifang

Titel: Beifang
Autoren: Ulrich Ritzel
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geworden. »Im Umgang mit Zeugen duldet dieses Gericht weder Sarkasmus noch Hohn.«
    Wieder verbeugte sich Eisholm. »Ich bitte um Entschuldigung.« Er wandte sich an den Vorsitzenden Richter. »Dieses Gericht wird mir aber wenigstens den Vorhalt zugestehen, dass dieser Zeuge nicht nur nicht weiß, wo Frau Morny ihre letzten Stunden verbracht hat, sondern dass er - und das ist noch sehr viel gravierender - vor allem nicht weiß, mit wem sie das getan hat...«
    »Aber das ist doch schamlos!«, unterbrach ihn Rechtsanwalt Kugelmann, dessen Gesicht sich gerötet hatte. »Was wir hier aufzuklären haben, das ist das Geschehen im Haus des Ehepaars Morny... Was bitte ist passiert, nachdem Fiona Morny nach Hause gekommen ist? Und was im Obduktionsbericht steht, das ist doch allen Prozessbeteiligten zur Genüge bekannt, das muss man doch nicht breittreten...«
    Eisholm hatte sich von Kuttler abgewandt und trat einen Schritt auf Kugelmann zu, den Kopf mit der vorspringenden Nase angriffslustig vorgereckt. »Doch, Herr Kollege, über diesen Obduktionsbericht werden wir noch sehr ausführlich zu sprechen haben, sehr, sehr ausführlich...«

    Über den Nachmittag breitete sich Zwielicht aus und drückte auf die Augenlider. Mit gleichmäßiger Geschwindigkeit glitten struppige graugrüne Fichtenwälder an dem ICE vorbei, bemoostes Felsgestein, dann wieder Dörfer und Kleinstädte, die so schnell vorbeihuschten, als schämten sie sich ihrer Eternit-Fassaden und ihrer Dachantennen.
    Der Mann, der jetzt die Leselampe über seinem Sitz einschaltete, hatte kurz geschnittenes graues Haar und einen Ausdruck in seinem Gesicht, als sei ihm neben vielen anderen Dingen auch völlig gleichgültig, ob er für die schwarzen Jeans, die er in Kombination mit einem Tweedsakko trug, nicht eigentlich zu alt sei. In Nürnberg hatte er sich eine Ausgabe des »Tagblatts« besorgt, nun nahm er die Seite, die er aufgeschlagen hatte, wieder auf und las ein zweites oder drittes Mal, was ihm schon beim ersten Lesen nicht gefallen hatte.
    Mit dem rauchenden Revolver erwischt
    Erster Tag im Prozess um Mord mit Handkantenschlag -Angeklagter streitet alles ab
    ULM (frz) Bereits am ersten Verhandlungstag im Prozess um den Mord an der Kunsthistorikerin Fiona M. (27) haben sich gestern heftige Kontroversen zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft angekündigt. Knut Eisholm, der Anwalt des angeklagten Ehemannes und Bundeswehr-Hauptmanns Ekkehard M. (32), wirft den Ermittlungsbehörden eklatante Versäumnisse vor.
    »Ich war es nicht.« Mit kaum hörbarer Stimme hat Ekkehard M. gestern vor der Schwurgerichtskammer des Ulmer Landgerichts seine Unschuld beteuert. Zuvor hatte der 1.90 Meter große Mann scheinbar gefasst, aber aschfahl im Gesicht die Anklageschrift angehört, die der Erste Staatsanwalt Rüdiger Desarts vortrug. Danach hat der 32jährige Bundeswehroffizier, der zuletzt im Kosovo eingesetzt war, seine Frau aus Eifersucht ermordet: »Bei einem Heimaturlaub musste er entdecken, dass seine Frau ihr eigenes Leben führen wollte. Das ertrug
er nicht.« Die Todesursache - vermutlich ein Handkantenschlag gegen den Kehlkopf - ist nach Desarts’ Ansicht ein un übersehbarer Fingerzeig auf den Angeklagten, der als Ausbilder von Nahkampf-Einheiten über ein tödliches Spezialwissen verfüge: »Das Tatgeschehen ist so offenkundig, als hätten wir ihn mit dem rauchenden Revolver erwischt.«
    Der Mann im Zugabteil schüttelte den Kopf und legte die Zeitung wieder zur Seite, ohne den Artikel zu Ende gelesen zu haben. Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er das »Tagblatt« gelesen hatte. Das war lange her. Damals war ebenfalls von einem rauchenden Revolver die Rede gewesen. Es war unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner in den Irak, und der Leitartikler hatte Luftbilder von irgendwelchen Röhren zum unwiderlegbaren Beweis für den Bau irakischer Atombomben erklärt.
    Er blickte um sich und holte, als ihm niemand zusah, eine Klarsichtmappe aus seiner Aktentasche, schlug sie auf und blätterte, bis er eine der darin eingehefteten Fotografien fand.
    Ein gälischer Name? Hießen Druidinnen so? Egal, Fiona also: ovales Gesicht, schmaler Mund mit fein gezeichneten Lippen, die Nase schmal, gerade, die Linie der Augenbrauen - ach!, dachte der Mann: Wie soll einer Anmut beschreiben? Das bloße Wort ist hübsch, aber auch das bloße hübsche Wort behauptet nur. Und Anmut, könnte man ihr Signalement für den Polizeibericht herrichten, wäre nicht mehr
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