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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht
Autoren: Nora Roberts
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Beschuldigung. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, sie zurück in den Sturm zu schicken. Er hatte nur seinem Unbehagen Ausdruck verliehen und feststellen wollen, dass er ihr Geld nicht nehmen würde. Normalerweise – und wenn er nicht so verärgert über diese Störung gewesen wäre – hätte ihm die Haltung des durchnässten, blassen Mädchens sehr imponiert.
    Wortlos ging er auf einen großen, altertümlichen Eichenschrank zu und wühlte darin herum. Gennie zwang sich, nicht hinzusehen, obwohl sie hörte, dass er etwas einschenkte.
    »Sie brauchen Brandy jetzt nötiger als Kaffee«, meinte er und hielt ihr ein Glas unter die Nase.
    »Danke!«, sagte Gennie in dem eisigen Tonfall, den die Frauen aus den Südstaaten weltmeisterlich beherrschten. Sie nippte nicht, sondern trank das Glas in einem Zug aus. Durch den plötzlichen Wärmeschock wurde ihr wohler, und ihr Kreislauf stabilisierte sich.
    Grant konnte ein Lächeln nur schwer unterdrücken. »Möchten Sie noch einen?«
    »Nein«, erwiderte Gennie kühl, »danke.« Reserviert höflich gab sie das Glas zurück.
    Sie hat mich gekonnt zurechtgewiesen, musste Grant sich eingestehen.
    Was ist nun zu tun? überlegte Grant. Durch die dicken Wände des Leuchtturmes war das Heulen und Peitschen des Sturmes deutlich zu vernehmen. Sogar die kurze Fahrt zum Haus der Witwe Lawrence könnte ungemütlich, wenn nicht gefährlich werden. Die Fremde hier unterzubringen machte weniger Mühe. Mit einer Verwünschung, die eher resigniert als bösartig klang, wandte er sich von Gennie ab.
    »Na gut, dann kommen Sie mit«, befahl er, ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. »So können Sie nicht den Rest der Nacht sitzen bleiben und frieren.«
    Gennie überlegte ernsthaft, ob sie mit ihrer Tasche nach ihm werfen sollte.
    Der gewendelte Treppenlauf entzückte sie. Fast wäre ihr eine begeisterte Bemerkung entschlüpft, aber sie hielt sich noch rechtzeitig zurück. Die eisernen Stufen liefen rund um eine aufstrebende Säule höher und höher hinauf, ohne dass ein Ende erkennbar war. Grant stieg bis zum zweiten Absatz, der gut zwanzig Fuß über dem ersten liegen mochte. Er bewegte sich im Dunkeln mit der Sicherheit einer Katze, während Gennie sich am Geländer festhielt und wartete, bis er das Licht anknipste. Besonders hell wurde es auch dann nicht, und lange Schatten fielen auf den hölzernen Fußboden.
    Durch eine Tür trat Grant in einen Raum, der offensichtlich als Schlafzimmer diente. Nicht sehr groß, auch nicht besonders ordentlich, doch mit einem breiten, antiken Messingbett in der Mitte, in das Gennie sich sofort verliebte.
    Er kramte ungeduldig in einer alten Kommode und zog schließlich einen verwaschenen Bademantel hervor.
    »Die Dusche befindet sich auf der anderen Seite vom Treppenhaus«, erklärte er kurz und drückte ihr das Kleidungsstück in die Hand. Dann drehte er sich um und verschwand.
    »Vielen Dank«, murmelte Gennie. Aber Grants Schritte klapperten bereits wieder die Stufen hinunter. Mit stolz erhobenem Haupt und glänzenden Augen ging Gennie in die angegebene Richtung.
    Das Bad war zauberhaft! Zu schneeweißem Porzellan glänzten Armaturen und Ständer aus Messing, die von Grant offensichtlich regelmäßig poliert wurden. Auch dieser Raum war nicht groß, aber irgendwann hatte jemand sich die Mühe gemacht, die Wände mit gelacktem Zedernholz zu verkleiden. Ein Waschbecken stand auf zierlichen Beinen, darüber hing ein hübscher schmaler Kristallspiegel. Das Licht kam von der Decke, man musste an einer langen Seidenkordel ziehen.
    Endlich konnte Gennie ihre unangenehm feuchten Kleider ausziehen. Sie kletterte in die Wanne und zog den Vorhang zu. Wundervoll heißes Wasser strömte aus der Dusche, und langsam kehrten Wärme und Wohlbehagen in ihren Körper zurück. Gennie war sicher, dass es im Paradies nicht schöner sein könnte, auch dann nicht, wenn ein Teufel Wache hielt.
    Grant stand inzwischen in der Küche und brühte frischen Kaffee auf. Nach kurzem Nachdenken öffnete er eine Dose mit Suppe. Schließlich musste er seinem Gast etwas anbieten. In diesem Raum, an der Rückseite des Turmes, war die tobende See lauter zu vernehmen. Im Allgemeinen beachtete Grant solche Geräusche nicht mehr, denn er hatte sich daran gewöhnt. Heute aber klang der Sturm besonders stark und böse. Von seiner Arbeit hätte er Grant allerdings nicht abhalten können.
    Musste ausgerechnet er ein durchnässtes Mädchen, das sich verlaufen hatte, vor seiner Haustür
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