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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht
Autoren: Nora Roberts
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erst ansehen?«
    »Das ist nicht nötig.« Gennie zog ihr Scheckbuch aus der Tasche und schrieb die Summe aus.
    Mrs. Lawrence studierte Gennies Unterschrift.
    »Genevieve heißt das«, half Gennie, »nach meiner französischen Großmutter. Mich nennt aber fast jeder Gennie.«
    Eine Stunde später klapperten die Schlüssel in Gennies Tasche. Zwei Kartons mit Lebensmitteln standen auf dem Rücksitz des Wagens, und sie ließ die Häuser des Ortes hinter sich. Amüsiert dachte sie an den bewundernden Ausdruck im sommersprossigen Gesicht des Ladenhelfers, der gewiss in seinem jungen Leben noch keine leibhaftige Malerin erblickt hatte.
    Es wurde schnell dunkler. Die Wolken zogen tief und machten keinen freundlichen Eindruck. Der Wind frischte zusehends auf, und Gennie spürte einen Hauch von Abenteuer. Erwartungsvoll fuhr sie an der Küste entlang und versuchte, den Schlaglöchern so gut wie möglich auszuweichen.
    Die Vorliebe für Abenteuer lag ihr im Blut. Wahrscheinlich war sie von ihrem Ur-Urgroßvater vererbt worden, der ein harter, kompromissloser Seeräuber gewesen war. Ohne Gewissensbisse nahm er sich, was er haben wollte. Zu Gennies gehüteten Schätzen gehörte das alte Logbuch, in das Philippe Grandeau seine Untaten ehrlich und mit feinem Sinn für Ironie wahrheitsgetreu niedergeschrieben hatte.
    Gennies praktischer Sinn für Ordnung stammte möglicherweise von ihren aristokratischen Vorfahren mütterlicherseits. Aber sie gestand sich offen ein, dass sie ohne Zögern sofort mit dem Piraten Philippe davongesegelt wäre und jede aufregende Minute genossen hätte.
    Der Wagen sprang von einem Loch ins andere, doch das machte Gennie nichts aus. Begeistert betrachtete sie die raue, urwüchsige Landschaft, die sich von ihrer Heimatstadt New Orleans so sehr unterschied, als wäre es ein anderer Planet. Das hier war kein Ort für Müßiggang und süßes Leben. In dieser felsigen, stürmischen Natur musste man immer hellwach sein, der kleinste Fehler konnte fatal werden.
    Gennie erkannte, wie Land und Wasser einander bekämpften. An jedem Tag rückte das Meer eine Winzigkeit vor. Diese Stimmung musste sie unbedingt in ihren Bildern festhalten.
    Obwohl die Schatten länger wurden und der Abend näher rückte, stoppte sie den Wagen und stieg aus, um ein paar Schritte näher an die auflaufenden Wellen zu treten. Der Geruch nach Fisch und Tang war hier viel intensiver, doch das beachtete Gennie ebenso wenig wie den Sturm, der aufzuziehen schien. Es erwartete sie ja niemand, und das Gefühl absoluter Freiheit war herrlich. Mit Skizzenblock und Stift in der Hand suchte Gennie sich einen Platz auf den Felsen. Von dieser wohltuenden Einsamkeit würde sie zu Hause noch oft träumen!
    Gennie begann zu zeichnen und war sofort ganz in ihre Arbeit vertieft. Windy Point war ein Glücksfall für ihre Arbeit, und das kleine Haus der Witwe Lawrence bildete die ideale Ergänzung. Erst als sie den Block sinken ließ, merkte Gennie, wie dunkel es inzwischen geworden war, und ging zum Wagen zurück.
    Noch viele herrliche Tage lagen vor ihr, niemand würde sie stören oder ablenken. Lächelnd drehte Gennie den Zündschlüssel um und betätigte den Anlasser.
    Die einzige Reaktion war ein heiseres Schnarren. Sie probierte es noch einmal, mit dem gleichen Ergebnis. Schon in Bath hatte ihr Auto diese Tücken gezeigt, aber dort war eine Werkstatt in der Nähe gewesen, und man hatte den Schaden angeblich repariert.
    So ein Pech! Gennies Kenntnisse von Motor und Elektrik waren äußerst gering, und es würde zu nichts führen, wenn sie die Motorhaube öffnete und an diesem oder jenem Draht zöge. Außerdem war die einzige Lichtquelle eine kleine Taschenlampe aus dem Handschuhfach.
    Wie lange war sie gefahren? Sollte sie die Strecke zu Fuß fortsetzen oder in den Ort zurückkehren? Vielleicht hatte sie Glück und begegnete einem Fahrzeug. Doch vorläufig war es weit und breit stockdunkel. Wahrscheinlich hatte sie schon über die Hälfte des Weges hinter sich gebracht und könnte das Haus in einer Viertelstunde erreichen.
    Gennie ergab sich in ihr Schicksal, zuckte mit den Schultern und marschierte los.
    Im schwachen Licht der Lampe konnte Gennie fast nichts sehen. Sie kam nur langsam voran und stolperte häufig über Wurzeln oder Steine.
    Obwohl es inzwischen Nacht geworden war, wurde es keineswegs ruhig und leise. Der Sturm zerrte an Gennies Haar, pfiff und heulte und trieb immer dickere Nebelschwaden vor sich her. Hoffentlich würde sie bald am
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