Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht
Autoren: Nora Roberts
Vom Netzwerk:
Ziel sein.
    Normalerweise hätte ihr ein kräftiger Regenguss nicht viel ausgemacht, aber jetzt wurde Gennies Abenteuerlust auf eine harte Probe gestellt. Es schüttete wie aus Kannen, das Wasser peitschte in ihr Gesicht, und die nackten Füße glitschten in den vollkommen durchnässten, leichten Sommersandalen schmerzhaft hin und her.
    Langsam wurde Unbehagen zu Beschwerlichkeit, und Gennie bekam Angst. Grelles Wetterleuchten ließ die Bäume und Büsche am Rand der Straße wie bizarre Gestalten erscheinen. Saßen hässliche Kobolde hinter den Felsen und lachten sie aus? Gennie summte irgendein albernes Lied und konzentrierte sich auf den winzigen Lichtkegel ihrer Lampe.
    Ich bin nass bis auf die Haut, sagte sie sich und strich das Haar aus dem Gesicht, aber daran werde ich nicht sterben. Das Haus muss ganz in der Nähe sein.
    Die Schwierigkeit bestand darin, bei Sturm, Nebel und Donner die Kate von Mrs. Lawrence zu finden, die wahrscheinlich ein wenig abseits der Straße lag. Vielleicht war sie schon längst daran vorbeigelaufen. Das fehlte noch! Dann müsste sie wieder zurück zum Wagen gehen. Es wäre tatsächlich ein kleines Wunder, wenn sie bei diesem Wetter das unbewohnte Haus fände.
    Ich war dumm, schalt Gennie sich und verschränkte zitternd die Arme. Die einzige Möglichkeit, die ihr jetzt blieb, war, den Rückmarsch anzutreten und im Auto auf das Ende des Sturmes zu warten.
    Ein Umherirren im Gewitter erschien ihr wesentlich schlimmer, als eine unbequeme Nacht im Auto zu verbringen. Außerdem befand sich in einem Karton auf dem Rücksitz eine Packung mit Keksen.
    Aufseufzend ließ Gennie nochmals den Schein der Taschenlampe kreisen und starrte dann in die Dunkelheit, die nun noch schwärzer wirkte. Sie drehte sich um und wollte zurückgehen, als sie plötzlich ein Licht sah. Gennie blinzelte und wischte den Regen aus den Augen. Es war keine Täuschung. Das bedeutete Schutz, Wärme und menschliche Gesellschaft. Ohne Zögern eilte sie auf den hellen Punkt zu.
    Ungefähr eine Meile war Gennie gegangen. Der Wind heulte, und der Weg wurde immer schlechter. Feurige Blitze zuckten über den Himmel. Gennie musste sich auf jeden Schritt konzentrieren, um nicht hinzufallen, und kam nur sehr langsam voran. Würde sie jemals wieder trocken und warm werden?
    Allmählich rückte das Licht näher. Das Tosen der Brandung klang böse und unheimlich. Gennies Herz klopfte, am liebsten wäre sie kopflos in die Dunkelheit gerannt. Doch sie bekämpfte ihre Angst und prüfte genau, wohin sie die Füße setzte. Als endlich die Umrisse eines Gebäudes durch den Regen schimmerten, lachte und weinte sie zugleich.
    Es war ein alter Leuchtturm, ein steinerner Beweis dafür, dass Menschen einander halfen. Der Lichtschein kam jedoch nicht von der Turmspitze aus starken, sich drehenden Lampen, sondern aus einem erhellten Fenster. Also wohnte hier jemand. Gennie zögerte nicht lange und lief, so schnell sie nur konnte, auf den hohen Turm zu.
    Wahrscheinlich saß dort ein knurriger alter Mann, der früher zur See gefahren war. Sicherlich würde er ihr Rum und heißen Tee anbieten. In diesem Moment zuckte ein besonders greller Blitz über den nächtlichen Himmel, und Gennies Sympathie für den Leuchtturmwärter stieg ins Unermessliche.
    Mithilfe ihrer kleinen Taschenlampe suchte sie die Mauer nach dem Eingang ab. Das erleuchtete Fenster lag weit oben, ungefähr auf dem dritten Treppenabsatz.
    Der Sturm heulte laut und übertönte beinahe Gennies Klopfen an der dicken, harten Holztür, obwohl sie mit der Kraft ihrer Verzweiflung dagegentrommelte. War sie gezwungen, so dicht vor dem Ziel zu kapitulieren? Nein – wer immer hier drinnen war, er musste sie einlassen! Irgendwann würde er den Lärm von hier unten wahrnehmen.
    Erschöpft lehnte sich Gennie an das nasse, raue Holz. Ihre Fäuste schmerzten, und die Schläge wurden schwächer. Als sich die Tür plötzlich öffnete, verlor sie das Gleichgewicht und stolperte in den dahinterliegenden Flur. Sie wäre unweigerlich gefallen, hätte nicht jemand mit festem, sicherem Griff ihren Arm gepackt.
    »Dem Himmel sei Dank!«, stammelte Gennie. »Ich fürchtete schon, dass Sie mich nie mehr hören würden!« Mit ihrer freien Hand strich sie das tropfnasse Haar aus der Stirn und schaute zu der Person auf, die sie als ihren Lebensretter betrachtete.
    Erstaunt erkannte Gennie, dass der Mann weder alt noch knorrig, sondern jung und schlank war. Seine gebräunten, wettergegerbten Züge erinnerten an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher