Bei Rotlicht Mord
später klingelte mein
Telefon.
„Hier Jacques Mortier“, tönte eine
sympathische, jugendliche Stimme. „Lucot hat mir Ihre Nummer gegeben. Ich weiß
Bescheid. Sie benötigen ganz bestimmte Informationen. Da bin ich der richtige
Mann für Sie, aber lassen Sie mich vorher...“
In seiner Eigenschaft als
Oberschwätzer setzte er mich gut zehn Minuten lang über seine
Lieblings-Krimiautoren und, da er schon mal dabei war, über seine
künstlerischen Präferenzen in Kenntnis. Dann endlich kam er auf Françoise
Pellerin zu sprechen. Er ertränkte die Tote in einer Flut von Wörtern. Doch
etwas wirklich Wichtiges erfuhr ich von ihm nicht. Das einzige, was ich
hinterher in Händen hielt, war so eine Art Personalbogen.
Geboren war sie 1942 in Paris. Wie
alle hatte sie ein wenig Schauspielunterricht genommen und danach hier und da
einige unbedeutende Nebenrollen gekriegt. Von Dolguet ermuntert, hatte sie an
einem Wettbewerb für Fernsehansagerinnen teilgenommen und es geschafft. Bis vor
einer Woche hatte sie in der Rue Saint-Benoît gewohnt. Ihr Vater war tot, aber ihre
Mutter lebte noch, und zwar in der Rue des Forges Nr. 15, in Châtillon.
„Ausgezeichnet“, sagte ich. „Ich danke
Ihnen, Monsieur Mortier. Und jetzt hätte ich noch gerne ein paar Informationen
über Roudier und Dolguet. Ist das möglich?“
„Alles ist möglich! Nur nicht im
Augenblick. Soll ich Sie Montag oder Dienstag noch einmal anrufen?“
Wahrscheinlich wollte er einen ganzen
Roman zusammenbasteln. Aber vielleicht würden dabei ein paar nützliche Details
für mich abfallen. Jedenfalls hoffte ich das.
* * *
Am Steuer meines Wagens bog ich
langsam in die Rue des Forges ein und nahm die Umgebung unter die Lupe. Das
Häuschen von Madame Pellerin sah nicht sehr einladend aus mit den drei
ausgetretenen Stufen, die zur Haustür hinaufführten, seinem kümmerlichen Gärtchen,
das auch ein paar Fliedersträuche nicht verschönern konnten, und seinem
verrosteten Gartentor. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite parkte eine Floride.
Ich wollte gerade halten, als ich eine
große, elegant gekleidete Brünette aus dem Häuschen von Madame Pellerin
herauskommen sah. Unsicher auf ihren hohen Stöckelschuhen, überquerte sie die
Straße und stieg in die Floride ein.
Die Dame war mir nicht unbekannt. Es
war Olga Maîtrejean, eine von Lucots Schauspielerinnen.
Die Floride startete und
entfernte sich in Richtung Paris. Ich hielt an, stieg aus und läutete an dem
Tor mit der Nr. 15.
Es dauerte eine ganze Weile, bis auf
mein Läuten hin etwas geschah. Der Grund dafür wurde mir klar, als die alte
Frau auf dem Eingangstreppchen erschien: Sie war sehr gebrechlich und
gehbehindert. Augen, Gesicht und Kleidung sahen traurig und verbraucht aus. Für
die Mutter eines jungen Mädchens von zweiundzwanzig Jahren war sie schon recht
betagt. Eine Spätgebärende, wie man so unschön sagt.
„Ich möchte mit Ihnen über Ihre
Tochter sprechen“, sagte ich.
„Das ist sehr nett von Ihnen“,
erwiderte sie, wobei sie ein Schluchzen unterdrückte. „Kommen Sie doch rein,
das Tor ist nur angelehnt.“
Sie führte mich in ein Zimmer im
Erdgeschoß. Sogleich stieg mir ein latenter Geruch nach Gerichtsvollzieher in
die Nase.
Ich nahm Platz und legte meinen Hut
auf das kleine Tischchen neben mir. Dort lagen schon eine Zeitung, ein Buch,
ein Brillenetui und auch ein grünes Blatt Papier, ein Schreiben von den
städtischen Gaswerken. Ich kannte diese Art Liebesbrief aus Erfahrung: die
letzte Zahlungsaufforderung, bevor das Gas abgedreht wird. Nein, in Sachen Geld
stand es nicht zum besten hier...
Madame Pellerins Stimme riß mich aus
meinen Träumereien:
„Arbeiten Sie auch beim Fernsehen?“
Ich mußte sie enttäuschen. Als ich ihr
gesagt hatte, wer ich war, sagte sie:
„Ach so, Sie sind das also, der...“
Sie hatte Zeitung gelesen und wußte
über mich und meine Erwerbstätigkeit Bescheid. Auch hatten sie die Flics
sicherlich besucht und ihr von mir erzählt.
„Ihre Tochter hatte mich als
Leibwächter engagiert“, erklärte ich. „Es tut mir sehr leid... Was ihr
zugestoßen ist, hat mich tief getroffen... Das wollte ich Ihnen sagen, auch
wenn ich nicht die richtigen Worte finde.“
„Vielen Dank, das ist sehr nett von
Ihnen.“
„Ich wollte Ihnen auch noch etwas
anderes sagen. Eine Frage der Berufsehre, sozusagen. Ich möchte Sie bitten, mir
die Erlaubnis zu erteilen, Nachforschungen über den... über das Hinscheiden
Ihrer Tochter
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