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Bei Null bist du Tod

Bei Null bist du Tod

Titel: Bei Null bist du Tod
Autoren: Iris Johansen
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könnte.«
    »Das Problem ist nur, dass der Schock sie dann ein zweites Mal treffen wird, wenn sie aufwacht«, sagte Jane. »Ich wusste, dass sie es sehr schwer nehmen würde, aber ich hätte nicht gedacht, dass sie völlig zusammenbricht. Sie kam mir immer so stark vor wie du, Eve.«
    »Sie ist stark. Sie hat ihre Drogensucht überwunden, sie hat mir damals beigestanden, als Bonnie ermordet wurde. Sie hat sich ein ganz neues Leben aufgebaut und anschließend die Scheidung von Ron überlebt.« Eve rieb sich die Schläfen. »Aber der Tod eines Kindes ist so schlimm, dass man daran zugrunde gehen kann. Ich selbst wäre beinahe daran zugrunde gegangen.«
    »Wo ist Joe?«
    »Er trifft Vorbereitungen für die Beerdigung. Sandra will Mikes Leichnam nach Atlanta überführen lassen. Wir reisen morgen ab.«
    »Ich komme mit. Bleibst du heute Nacht bei ihr?«
    Eve nickte. »Ich möchte gern bei ihr sein, wenn sie aufwacht. Womöglich schläft sie nicht so gut, wie wir hoffen.«
    »Oder sie kriegt Albträume«, fügte Jane müde hinzu. »Andererseits ist wach zu sein ja schon ein Albtraum. Ich kann es immer noch nicht fassen, dass das passiert ist. Ich kann einfach nicht glauben, dass Mike –« Ihr versagte die Stimme. Als sie sich wieder gefangen hatte, fuhr sie fort: »Manchmal ergibt alles einfach keinen Sinn. Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich. Warum hat er bloß –« Sie brach erneut ab. »Verdammt, ich hab ihn angelogen. Er hatte solche Angst. Ich hab ihm gesagt, er soll mir vertrauen, ich würde dafür sorgen, dass alles gut wird. Und er hat mir geglaubt.«
    »Und das hat ihn getröstet. Du konntest doch nicht wissen, dass es eine Lüge war. In gewisser Weise war es eher ein Flehen.« Eve lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Ich bin froh, dass du bei ihm warst. Wenn Sandra erst mal anfängt, ihren Schmerz zu überwinden, wird sie auch dankbar dafür sein. Sie weiß, wie sehr Mike dich gemocht hat, wie sehr du für ihn da warst.«
    »Vielleicht hat er das ganz anders empfunden … Als ich gestern in die Kneipe kam, um ihn da rauszuholen, hat er ein paar Dinge gesagt, die – Mike war nicht besonders selbstsicher und ich hab ihn manchmal ganz schön hart rangenommen.«
    »Aber die meiste Zeit bist du ganz wunderbar mit ihm umgegangen. Also hör auf, dir den Kopf darüber zu zerbrechen, was hätte gewesen sein können. Dieses Spiel kann man nicht gewinnen. Erinnere dich lieber an die guten Zeiten.«
    »Das fällt mir im Moment ziemlich schwer. Ich kann an nichts anderes denken als daran, dass dieser Dreckskerl Mike erschossen hat. Vielleicht war es meine Schuld. Ich hab ganz instinktiv reagiert, als der Typ auf mich losgestürzt ist. Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, hätten die uns vielleicht einfach nur ausgeraubt. Mike hat mich gefragt, warum ich dem Mann nicht mein Geld gegeben hab. Aber der hat gar kein Geld von mir verlangt. Andererseits, wenn ich ihm Gelegenheit gegeben hätte –«
    »Du hast gesagt, der andere Mann hätte seinem Komplizen zugeraunt, sie müssten das Mädchen schnappen. Das klingt nicht so, als wären die auf Geld aus gewesen.«
    »Nein. Du hast Recht. Ich bin ganz wirr im Kopf.« Müde schob sie ihren Stuhl zurück und stand auf. »Vielleicht hatten die vor, mich zu vergewaltigen oder zu entführen, wie Manning meinte. Woher zum Teufel soll ich das wissen?« Sie ging zur Tür. »Ich gehe ins Wohnheim und packe meine Sachen. Wir sehen uns morgen früh. Ruf mich an, falls du mich brauchst.«
    »Ich möchte nur eins: Dass du dich an die guten Zeiten mit Mike erinnerst.«
    »Ich werd’s versuchen.« Sie blieb an der Tür stehen und schaute Eve an. »Weißt du, an was ich mich am deutlichsten erinnere? Als wir noch Kinder waren, ist Mike von zu Hause ausgerissen und versteckte sich ein paar Straßen weiter in einer Gasse. Seine Mutter war Prostituierte, und du weißt ja, wie schlimm es jedes Mal für Mike war, wenn sein Vater nach Hause kam. Ich hab ihm tagsüber was zu essen gebracht, und abends hab ich mich aus dem Haus geschlichen, um ihm da draußen ein bisschen Gesellschaft zu leisten. Er war ja erst sechs, und er hatte Angst im Dunkeln. Er hatte überhaupt ganz oft Angst. Aber wenn ich bei ihm war, ging es ihm besser. Dann hab ich ihm Geschichten erzählt und dann ist er –« Gott, sie hatte schon wieder einen Kloß im Hals. »Dann ist er eingeschlafen.« Sie öffnete die Tür. »Und jetzt wird er nie wieder aufwachen.«
     
    »Sie können da nicht hin, Trevor«, sagte Venable
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